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Die klassische und die moderne Nationalökonomie

Rektoratsrede

von
Prof. Dr. Alfred Amonn
VERLAG PAUL HAUPT BERN 1949

Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1949 by Paul Haupt, Berne
Printed in Switzerland by Paul Haupt, Berne

Die klassische und die moderne Nationalökonomie

Rektoratsrede von Prof. Dr. Alfred Amonn

Die Nationalökonomie ist eine verhältnismäßig noch sehr junge Wissenschaft. Die ersten Versuche einer gedanklichen Klärung und analytischen Durchdringung der Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Ausbildung der Marktwirtschaft und der politisch einheitlichen, nach außen vor allem als Einheit auftretenden, modernen Staatswesen für die Staatsmänner und Regierungen im Hinblick auf eine wirtschaftspolitische Beeinflussung stellten, begegnen uns nicht früher als gegen den Ausgang des 16. Jahrhunderts.

Im 17. Jahrhundert finden wir wohl zahlreiche Abhandlungen über bestimmte Einzelprobleme, wie solche des Außenhandels und des Geldes, aber noch keinen Gesamtaspekt von der modernen Volkswirtschaft. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein waren die Vorstellungen der Staatsmänner wie auch der Großzahl der Schriftsteller über die Volkswirtschaft beherrscht von der primitiven, dem Bereich der privaten Einzelwirtschaft entnommenen Anschauung, daß die Verfügung über Geld, wenn schon nicht den ganzen Reichtum eines Volkes, so doch dessen wichtigsten Bestandteil ausmache und es für die Politik in der Hauptsache darauf ankomme, durch entsprechende Lenkung des Außenhandels möglichst viel «gutes Geld» oder Edelmetalle ins Land zu ziehen. Es ist die Ansicht und Politik, die man — weil sie im Handel, und zwar im Außenhandel die «Quelle» allen Reichtums sah und vornehmlich auf die Förderung dieses Handels im angegebenen Sinne gerichtet war — als «Merkantilismus» oder «Handelssystem» bezeichnet. ,

Dem ersten Versuch, sich eine Gesamtansicht von der modernen Volkswirtschaft zu bilden und alle Einzelprobleme einem daraus

sich ergebenden allgemeinen Gesichtspunkt unterzuordnen, begegnen wir erst im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts bei einer Gruppe französischer Schriftsteller, die man, weil sie in der Natur die Quelle allen Reichtums sahen — d. h. im wesentlichen in der Bodenproduktion oder in der Landwirtschaft, wo der Naturfaktor von ausschlaggebender Bedeutung zu sein scheint, — und ihn selbst in dem von der Natur über den notwendigen Unterhalt der Arbeitenden hinausgehenden hervorgebrachten Ueberschuß an Stoffen, und weil sie selbst ihr System als «Physiokratie» (Naturherrschaft) bezeichneten, «Physiokraten» nennt. Ihr berühmtes «Tableau économique», in dem sie diese Gesamtansicht zur Darstellung brachten, war aber wegen ihrer falschen Vorstellungen vom Wesen des Reichtums eine Fehlkonzeption.

Erst mit dem Erscheinen des berühmten Werkes von Adam Smith über die «Natur und Ursachen des Volkswohlstandes» im Jahre 1776 brach sich eine der empirischen Wirklichkeit ebenso wie den logischen Denknormen gerecht werdende Auffassung Bahn, die in kontinuierlicher Weiterentwicklung im 19. Jahrhundert zu jenem Gedankenbau führte, den man als «die klassische Nationalökonomie» bezeichnet. Dieser hat dann gegen den Ausgang des 19. Jahrhunderts und in den ersten beiden Dezennien des 20. Jahrhunderts in einzelnen Teilen eine gewisse Umbildung erfahren, ohne daß aber an den das Fundament bildenden Grundgedanken etwas geändert worden ware, weshalb man dieses modifizierte klassische System als «neuklassisch» zu bezeichnen pflegt. In den 30er Jahren unseres Jahrhunderts erlitt nun aber dieses Gedankengebäude mit dem Erscheinen eines Werkes vom englischen Nationalökonomen John Maynard Keynes einen schweren Stoß, indem in ihm nicht nur einzelne Teile des Systems angegriffen und als erneuerungsbedürftig aufgewiesen wurden — wie es in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in bezug auf die Wertlehre und in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts in bezug auf die Konjunkturtheorie der Fall gewesen ist —, sondern das ganze Fundament in Frage gestellt, die es tragenden Grundgedanken als irrig hingestellt wurden.

Dieses Buch, dessen neue Gedanken zunächst leidenschaftlich umstritten wurden, bewirkte allmählich doch eine gleichsam revolutionäre Umwälzung im herrschenden nationalökonomischen Denken, eine Umstellung, die man vielleicht nicht mit Unrecht mit der

von Einstein durch seine Relativitätstheorie hervorgerufenen Umstellung im physikalischen Denken verglichen hat, eine Umwälzung, die man deshalb im englisch-amerikanischen Sprachbereich als «Keynesian Revolution», die «Keynes'sche Revolution» zu bezeichnen pflegt.

Was ist nun das Neue, Eigenartige dieser Richtung, die sich zwar noch nicht vollständig und allgemein, aber doch weitgehend durchgesetzt hat, in Amerika vielleicht als die heute bereits herrschende angesehen werden kann? Worin besteht der Unterschied zwischen ihr und der als «klassisch» und «neuklassisch» bezeichneten Doktrin? Dies ist die Frage, die ich mir in diesem Vortrag gestellt habe und, soweit es in diesem engen Rahmen möglich ist, zu beantworten versuchen werde.

Alle Unterschiede im einzelnen lassen sich auf zwei veränderte Voraussetzungen zurückführen. Die Klassiker gingen bei ihrer Betrachtung des volkswirtschaftlichen Gesamtprozesses, bei ihrer Analyse und ihren Schlußfolgerungen von der Voraussetzung erstens des Vorherrschens der Konkurrenz und zweitens einer der Konkurrenzwirtschaft innewohnenden Tendenz zur Vollbeschäftigung und bestmöglichen, produktivsten Verwendung aller in einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Produktionsmittel aus. Die Folgerung, die sie daraus zogen, war, daß die freie Konkurrenz die bestmögliche, reichlichste Güterversorgung, das Maximum von Wohlstand gewährleiste, jede Konkurrenzbeschränkung eine Ablenkung der Produktivkräfte von ihrer bestmöglichen, ihrer produktivsten Verwendung bewirke und dadurch eine Verminderung des Nationalprodukts und des Volkseinkommens, eine Wohlstandsminderung nach sich ziehe. Die praktische Folgerung, die Folgerung für die Wirtschaftspolitik war der wirtschaftliche Liberalismus, das Laissez faire, die Negation jedweder staatlichen oder obrigkeitlichen Intervention, ausgesprochen im konkreten Postulat der «Handels- und Gewerbefreiheit».

In der neueren Zeit hat nun die Konkurrenz, ganz abgesehen von gesetzlichen Beschränkungen, gerade auf Grund des Laissez faire, de facto eine starke Einschränkung durch privatwirtschaftliche Monopolbildungen — Kartelle, Trusts, Unternehmerverbände und Arbeiterorganisationen — erfahren. Damit ist einer der Eckpfeiler des klassischen Systems sozusagen morsch geworden. Konkurrenzbeschränkungen

und Monopolbildungen bedeuten aber nicht nur eine Ablenkung der Produktivkräfte von ihrer bestmöglichen oder produktivsten Verwendung, sondern auch eine Brachlegung mancher, nicht nur eine Veränderung in der Produktionsrichtung, sondern auch in vielen Fällen eine Einschränkung der Produktion, ein Außerbeschäftigungsetzen von Produktionsmitteln, insbesondere von Arbeit. Durch sie ist also die Vollbeschäftigung in Frage gestellt. Das haben nun die Klassiker allerdings auch schon erkannt, weshalb sie alle derartigen Maßnahmen bekämpft haben. Wichtiger und ein grundsätzlicher Unterschied der modernen Richtung gegenüber der klassischen ist, daß sie die Gültigkeit der Annahme der der Konkurrenzwirtschaft innewohnenden Tendenz zur Vollbeschäftigung bestreitet und tatsächlich gezeigt hat, dar es auch bei freier Konkurrenz ein Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung, d. h. einen Zustand ohne irgendwelche Tendenz zu vollerer Beschäftigung, und deshalb nicht nur vorübergehende, sondern andauernde Arbeitslosigkeit geben kann. Die Klassiker haben gemeint, bei Unterbeschäftigung müsse die Konkurrenz der Unbeschäftigten um Beschäftigung durch Unterbieten schließlich dazu führen, daß sie zwar zu einem niedrigeren Preis oder Lohn, aber immerhin Beschäftigung fänden. Es müsse einen Gleichgewichtspreis, einen Gleichgewichtslohn für die Arbeit, einen Gleichgewichtszins für das Kapital geben, zu dem alle Arbeiter und alles verfügbare Kapital beschäftigt werden könne. Die modernen, an Keynes sich anschließenden Nationalökonomen bestreiten dies und behaupten, es könne wohl einen solchen Preis geben, aber es müsse nicht stets einen solchen geben und der regelmäßige Fall in der voll entwickelten modernen Volkswirtschaft sei, daß es keinen gibt. Es könne in einer solchen Volkswirtschaft prinzipiell alle möglichen Preise und Preissysteme geben, die zwar Gleichgewichtspreise und -preissysteme sind, aber nicht Vollbeschäftigung bedingen. Das Vollbeschäftigungs-Preis-Gleichgewicht sei ein Spezialfall, der unter bestimmten Bedingungen sich realisiere, die aber selten in der Wirklichkeit erfüllt sind.

Die Ursache hievon ist das Auseinanderfallen von Sparen und Investieren, wobei unter «Investieren» nicht das privatwirtschaftliche Anlegen der Ersparnisse in zinstragende Forderungsrechte, Obligationen Staatsanleihepapieren, Pfandbriefen und ähnlichen Titeln, was ja vielfach nur einen Händewechsel bedeutet, sondern ihre produktive

Verwendung, ihr Einsatz in der Produktion, durch ihre Verausgabung für die Anschaffung und Verwendung von Produktionsmitteln, Rohstoffen, Kapitalgütern und Arbeit, zur Produktion von neuen Produktionsmitteln zu verstehen ist. Diese Funktion wird nicht von den Sparern selbst, sondern von den Unternehmern ausgeübt, denen die Sparer ihre Ersparnisse durch Zeichnung von Aktien und Obligationen oder via Banken zur Verfügung stellen. Daraus folgt, dass sich Sparen und Investieren nicht immer decken werden, sondern zwischen beiden Größen eine Differenz bestehen kann, indem die Ersparnisse nicht alle produktive Anlage finden, die Investitionen hinter den Ersparnissen zurückbleiben. Es entsteht ein sogenannter «Sparüberschuß».

Was bedeutet dies nun? Es bedeutet zunächst, daß nicht alles Geld, das für die Zurverfügungstellung von Produktionsmitteln — Boden, Kapital und Arbeit —eingenommen worden ist, wieder ausgegeben wird, daß ein Teil davon in den Kassen der Privaten oder der Banken liegen bleibt und, wie mati sich im geschäftlichen Sprachgebrauch auszudrücken pflegt, «nicht arbeitet». Die unmittelbare Folge davon ist, daß nicht alles, was produziert worden ist und für dessen Produktion das eingenommene Geld von den Unternehmern als Kosten ausgegeben worden ist, zu kostendeckenden Preisen abgesetzt werden kann, und. das bedeutet, daß entweder ein Teil nicht oder nur zu unter die Kosten herabgesetzten Preisen abgesetzt werden kann. In beiden Fällen erleiden die Unternehmer Verluste, was sie veranlassen wird, die Produktion einzuschränken. Das aber bedeutet Außerverwendungsetzen von Produktionsmitteln oder Produktivkräften und insbesondere Außerbeschäftigungsetzen von Arbeitern, Beschäftigungslosigkeit, Arbeitslosigkeit.

Allgemeiner formuliert: das Sparen ohne Verwendung oder produktive Verwertung der Ersparnis bedeutet einen Nachfrageausfall, der Nachfrageausfall führt zu einer Einschränkung der Produktion, die Einschränkung der Produktion bedeutet Minderbeschäftigung von Produktionsmitteln, Arbeitslosigkeit und vermindertes Volkseinkommen. Wenn die Produktion im gleichen Umfang wie bisher weitergeführt werden soll, so muß alles Geld, das für das Zurverfügungstellen von Produktionsmitteln von den Unternehmern ausgegeben und von den die Produktionsmittel zur Verfügung stellenden Wirtschaftssubjekten eingenommen worden ist oder wird, wieder

ausgegeben werden, sei es zum Ankauf von Konsumgütern oder zur Bezahlung von Produktionsmitteln. Wenn dies nicht der Fall ist, verengert sich der Geldkreislauf und erfährt der Güterkreislauf einen Unterbruch.

Die Klassiker haben gemeint, daß das bei freier Konkurrenz nicht möglich sei oder höchstens nur kurz vorübergehend möglich sei, weil da kein Gleichgewicht bestehen könne. Wenn Freiheit in der Zins- und Lohngestaltung bestehe, so würden durch das überschüssige Kapital- und Arbeitsangebot die Zins- und Lohnsätze auf ein Niveau heruntergedrückt werden, bei dem wieder Vollbeschäftigung bestehe. Sie haben gemeint, daß insbesondere der niedrigere Zinssatz für die Unternehmer einen Anreiz bilden werde, wieder mehr zu investieren. Aber die Unternehmer richten sich bei ihren Investitionserwägungen und -entschlüssen nicht immer und nicht in erster Linie nach der Zinshöhe, sondern ebensosehr oder noch mehr nach den Absatzaussichten für ihre Produkte, seien es Konsumgüter oder Produktivgüter. Und diese Absatzaussichten werden gerade durch das Nichtinvestieren von Ersparnissen beeinträchtigt. Denn dies bedeutet nicht nur Nichtbeschäftigung von Produktionsmitteln, sondern auch eine Verminderung des gesamten volkswirtschaftlichen Einkommens. Wenn weniger eingenommen wird, kann eben auch nur weniger ausgegeben werden. Weniger ausgeben aber heisst weniger kaufen und weniger kaufen weniger einnehmen, und das hat zur Folge weniger produzieren. Das bedeutet wiederum Außerbeschäftigungsetzen von Kapital und Arbeit, dies hat einen weitern Nachfrageausfall zur Folge, dies eine weitere Produktionseinschränkung, weiteres Außerbeschäftigungsetzen von Kapital und Arbeit, weitere Einkommensverminderung, weiteren Nachfrageausfall usw. in einem fehlerhaften Zirkel.

Das bedeutet allerdings kein Gleichgewicht und eine Bewegung zu einem neuen Gleichgewicht. Das Gleichgewicht, dem diese Bewegung zustrebt, ist aber nicht ein Gleichgewicht mit Vollbeschäftigung, sondern ein Gleichgewicht mit einem solchen Mass von Ueberbeschäftigung, bei dem Sparen und Investieren wieder gleiche Grössen sind, das Uebersparen verschwunden ist. Mit dem Rückgang von Produktion und Einkommen wird nämlich das Sparen immer geringer werden, mit dem fortgesetzten Verschleiß der sachlichen Produktionsmittel wird sich schließlich die Notwendigkeit einstellen, sie zu ersetzen, und

mit der Leerung der Lager, diese wieder aufzufüllen, so daß wieder in einem höheren Maße investiert werden muss. Damit kommt nun eine umgekehrte Bewegung in Gang. Mit der Zunahme der Investition und damit der Beschäftigung steigen Produktion und Einkommen, es wird wieder mehr eingenommen und kann und wird demgemäß auch mehr ausgegeben werden, es steigt infolgedessen die Nachfrage nach Konsumgütern wie nach Produktionsmitteln, was Investition wie Produktion und Einkommen weiter erhöhen muß, mit einem die Bewegung weitertreibenden Effekt, bis Vollbeschäftigung erreicht ist oder sogar «Ueberbeschäftigung» eintritt. Die Investition kann aber dann nachlassen, während das Sparen noch zunimmt, und es kommt wieder zu einem Uebersparen, durch das der rückläufige Prozeß wieder in Gang gebracht wird. Finanziert wird der Aufschwung zunächst durch brachliegende Geldmittel, dann durch Kreditausdehnung der Banken, die in der Regel mit einer kleinen Inflation und den entsprechenden Preissteigerungen verbunden ist.

Das ist das Bild, das die moderne Theorie von der Konjunkturbewegung, dem in der Dynamik der Verkehrswirtschaft liegenden periodischen Wechsel von Expansion und Restriktion der Wirtschaftstätigkeit, Aufschwung und Krise, gezeichnet hat. Und es stellt zugleich den Normalzustand der Konkurrenzwirtschaft dar, der nicht ein Gleichgewicht, sondern ein beständiges Schwanken ist. Nach der klassischen Theorie konnte es eine solche Bewegung nicht geben, sofern sie nicht von außen her, durch Einwirkung von außerhalb des Wirtschaftsprozesses gelegener Kräfte und Mächte, wie etwa Mißernten oder überreichlichen Ernten oder politische Faktoren, hervorgerufen würde. In ihrem System hatte nur eine exogene Konjunktur- und Krisentheorie Platz, aber keine endogene. Eine solche geschaffen zu haben, war wesentlich das Werk der modernen Theorie, wie sie sich zunächst neben der klassischen einhergehend als eine Ergänzung derselben, ein Annex zu ihr, nach dem ersten Weltkrieg entwickelt hat. Danach gibt es nun überhaupt kein natürliches Gleichgewicht, dem das Größensystem der Marktwirtschaft bei freier Konkurrenz stets zustreben würde, wenn auch gewisse ideale Gleichgewichtsniveaux, von denen jedoch das mit Vollbeschäftigung keinerlei theoretischen Vorzug vor dem mit Unterbeschäftigung hat — wenn auch natürlich einen praktischen, indem

die Erreichung und Erhaltung desselben im Interesse des Volkswohlstandes und der allgemeinen Wohlfahrt das Erwünschte ist und deshalb das Ziel der Wirtschaftspolitik sein muß. Nach der Grundauffassung der modernen nationalökonomischen Theorie hat die freie Marktwirtschaft nicht, wie nach der der Klassiker, einen zuständlichen, «statischen» Charakter, sondern einen essentiell dynamischen; sind die in ihr implizierten Grössen notwendigerweise in ständiger Bewegung, und zwar abwechselnd in der Richtung zu Mehrbeschäftigung und in der Richtung zu Minderbeschäftigung, muß demnach auch die Theorie essentiell dynamisch sein, d. h. immer auf die kausale Erklärung dieser Bewegung gerichtet, nicht auf die funktionale Erklärung der Korrespondenz der verschiedenen Größen in einem idealen, nie realisierten Gleichgewichtszustand. Der Gleichgewichtszustand, dessen Darstellung und Erklärung das Hauptanliegen der klassischen Nationalökonomie war, verliert damit seine Bedeutung. Von Bedeutung erscheint nun mehr nur, was sich im nie zur Ruhe kommenden Prozess der Veränderung, sei es nach einem Gleichgewichtszustand hin oder von einem Gleichgewichtszustand fort, in jenem beständigen Auf und Ab der Konjunkturbewegung abspielt.

Das hat nun sehr weittragende Konsequenzen; zunächst für die Beurteilung gewisser Verhaltensweisen der Wirtschaftssubjekte und dann für die Wirtschaftspolitik.

Was das erste anbelangt, so ist vor allem auf die durch jene Erkenntnisse hervorgerufene Veränderung in der Einstellung gegenüber der Frage Sparen und Konsumieren zu verweisen. Die Klassiker haben das Sparen, weil es nach ihrer Ansicht ganz automatisch zur Kapitalbildung als Voraussetzung des wirtschaftlichen Fortschritts führe, unter allen Umständen und in jedem Misse als etwas Erwünschtes, für den wirtschaftlichen Fortschritt Vorteilhaftes angesehen. Für sie konnte es niemals ein Zuviel-Sparen geben. Je mehr gespart wird, desto schneller und größer der wirtschaftliche Fortschritt, die Zunahme der Güterversorgung, des Volkseinkommens, der allgemeine Wohlstand. Jede Abnahme der Spartätigkeit betrachteten sie als ein grosses Uebel. — Nach der neuen konjunkturtheoretischen Auffassung muß Sparen als volkswirtschaftlich nachteilig und als ein gesellschaftliches Uebel betrachtet werden, sofern, nicht gleichzeitig und in gleichem Masse investiert wird. Dann ist

nämlich die Hauptbedingung eines gleichmäßigen Wirtschaftsablaufs oder eines «geschlossenen Kreislaufs», eines ununterbrochenen Geldumlaufs und Güterumsatzes, nicht vorhanden. Wenn mehr gespart wird als investiert wird, oder — von der anderen Seite gesehen —, wenn weniger investiert wird als gespart wird, so bedeutet das ein wirtschaftsschädliches, wohlstandsbeeinträchtigendes Zuviel-Sparen. Sparen ist also vom Standpunkt des Ganzen aus nicht unter allen Umständen eine Tugend und Mehr-Sparen nicht immer von Nutzen. Es kann auch von Schaden sein und ein Mehrkonsumieren von Nutzen. Denn nur durch die Konsumtion wird die Produktion in Gang gehalten. Weniger Konsumieren kann ein weniger Produzieren zur Folge haben.

Für die Wirtschaftspolitik ergibt sich daraus die Konsequenz, daß sie ein Auseinanderklaffen von Sparen und Investieren zu verhindern trachten muß, daß sie ständig darauf aus sein muß, eine Entwicklung zu verhindern, die zu diesem Mißstand führen könnte, und d. h. vor allem, daß eine positive Konjunkturpolitik getrieben werden muß. Das bedeutet, daß nicht wie bisher erst in der Krise Maßregeln ergriffen werden dürfen, die nur ihre Symptome betreffen und in bezug auf den zu beseitigenden Grund des Uebels gerade die verkehrtesten zu sein pflegen, sondern daß schon in der auf steigenden Phase der Konjunkturbewegung vorbeugend darauf gesehen werden muß, daß die Investition nicht ein übergroßes Maß annimmt, das später notwendig zu einem Rückgang führen muß — notwendig deshalb, da, wenn die Konsumtion nicht Schritt hält, weil sie vielleicht gar nicht Schritt halten kann, mit dem Investieren einmal aufgehört werden wird und aufgehört werden muß. Verkehrt war es bisher vor allem — wie erst auf Grund dieser neueren Vorstellungen eingesehen werden .konnte —, daß man in der Krise mit ihrer Tendenz der Schrumpfung des Einkommens und der Produktion noch künstlich durch Lohnsenkungen die Einkommen reduziert und damit diese Tendenz verschärft hat. Es kommt im wesentlichen darauf an, im Konjunkturaufschwung die Investitionslust zu dämpfen und in der absteigenden Phase der Konjunkturbewegung sie wie die Konsumtion zu stimulieren, eventuell in jener Periode mit öffentlichen Investitionen zurückzuhalten und in dieser den Mangel privater Investitionstätigkeit durch öffentliche Investitionen auszugleichen. Allgemein gefaßt —kann man sagen —ergibt

sich für die Wirtschaftspolitik die Forderung einer Lenkung der Spartätigkeit sowohl wie der Investitionstätigkeit in der Weise, daß je nach der Wirtschaftslage und der Tendenz der Entwicklung einerseits die private Investitionstätigkeit gefördert oder gehemmt und ein Manko der privaten Investition durch öffentliche Investition ausgeglichen, bei einer großen privaten Investition mit der öffentlichen Investition zurückgehalten wird, andererseits das Sparen gefördert oder gehemmt, die Konsumtion gehemmt oder gefördert, eventuell durch öffentlichen Konsum über den privaten hinaus vermehrt wird.

Damit zusammen hängt eine weitere Konsequenz, die sich auf die Finanzpolitik der öffentlichen Gemeinwesen bezieht, die Wirtschaft des Staates und der Gemeinden. Bis in die 30er Jahre hinein galt nach klassischer Anschauung auch für sie wie für die Privatwirtschaft, daß Sparen höchste Tugend sei und unter allen Umständen geübt werden müsse, daß sie, wenn sie weniger einnehmen ihre Ausgaben einschränken und die Steuern erhöhen, ihren Haushalt auf jeden Fall im Gleichgewicht halten müssen. So hat man es auch bei uns in den 30er Jahren gehalten, mit dem Erfolg, daß um das, was im öffentlichen Haushalt weniger ausgegeben wurde, nun auch die Privatwirtschaften weniger einnahmen und damit weniger zum Verausgaben hatten und dadurch der Schrumpfungsprozeß der Wirtschaft noch weiter getrieben wurde. — Nach der modernen Theorie ist das eine ganz verkehrte, volkswirtschaftlich gesehen höchst zweckwidrige Politik und sollte gerade das Entgegengesetzte getan werden: Ausgabenvermehrung und Steuererleichterungen, was natürlich zu einem Defizit führen muß. das aber dann in den Jahren guter Konjunktur, wo die Steuereingänge von selbst wieder stärker fliessen, abgedeckt werden könnte und sollte. Man nennt dies «Defizit-Spending» und «zyklische Budgetpolitik». Es bedeutet, daß die Finanzpolitik in den Dienst der Volkswirtschaftspolitik gestellt, ihr untergeordnet wird, dies nicht nur im volkswirtschaftlichen, sondern auch in ihrem eigenen finanzwirtschaftlichen Interesse, weil dadurch doch auch die Finanzkraft gestärkt wird.

Nun sind die «Keynesianer», wie man die Anhänger von Keynes zu bezeichnen pflegt, nicht bei dem stehen geblieben, sondern über diese sich wesentlich auf die zyklischen Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit und Beschäftigung beziehenden Vorstellungen und Lehren hinausgegangen, indem sie für die auf einer fortgeschrittenen

Entwicklungsstufe stehende Volkswirtschaft ganz allgemein das Bestehen einer zunehmenden Tendenz zu Unterbeschäftigung behaupten und beweisen zu können meinen. Sie haben diesbezüglich eine Theorie entwickelt, die man als die Theorie der «reifen Volkswirtschaft» oder die Theorie der. «säkularen Stagnation» bezeichnet. Diese Theorie behauptet, daß mit fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung, mit zunehmendem Reichtum einerseits nicht nur ein absolut, sondern auch relativ immer grössrer Teil des Einkommens gespart wird, andererseits die gewinnversprechenden Investitionsmöglichkeiten immer kleiner werden. Für beides sprechen plausible, wenn auch nicht durchschlagende Gründe. Bei einem sehr kleinen Einkommen kann man nicht sparen; erst, wenn es über die Grenze des zum Leben absolut Notwendigen hinausgeht, wird Sparen möglich. Dann kann es aber zunächst nur sehr gering sein. Je größer das Einkommen aber wird, desto mehr nimmt die Sparfähigkeit zu und mit ihr im allgemeinen auch der Sparwille; wenn es über ein bestimmtes Mass hinausgeht, wird vielleicht der ganze Einkommenszuwachs gespart werden. Als größte Investitionsmöglichkeit aber bietet sich die Entwicklung noch unerschlossener Gebiete. Deren gibt es zwar heute noch genug in der Welt, aber nicht mehr so viele in den bereits höher entwickelten Volkswirtschaften, die gerade über das Kapital verfügen, das es zur Entwicklung solcher Gebiete braucht. Damit dieses Kapital aber bereitwillig dorthin fließt, bedürfte es einer viel größeren Sicherheit, als sie heute besteht. Die Folge ist ein stets zunehmender Kapitalüberfluß in den höher entwickelten Ländern bei großem Kapitalmangel in den zurückgebliebenen oder jetzt durch den Krieg zurückgeworfenen. Kapitalüberfluß bedeutet aber in diesem Falle nichts anderes als Sparüberschuß, und zwar nicht nur zeitweisen, sondern dauernden Sparüberschuß. Und das bedeutet einen andauernden Druck auf die Beschäftigung, anhaltende Unterbeschäftigung, Dauerarbeitslosigkeit — wenn dem nicht irgendwie durch die Wirtschaftspolitik entgegengewirkt wird. Das bedeutet, daß eine dauernde Beschäftigungspolitik betrieben werden muß. Mit welchen Mitteln kann in diesem Rahmen nicht erörtert werden. Es sollte nur darauf hingewiesen werden, daß hier im Zusammenhang mit der neueren Entwicklung der nationalökonomischen Theorie noch ein neues Problem entstanden ist, und ein Problem, das zwar in einem totalitären Staatswesen durch obrigkeitliches

Kommando, durch zwangsmäßige Verteilung der Arbeiter auf irgendwelche, von ihnen vielleicht nichts weniger als erwünschte Beschäftigungen, nicht zuletzt durch Rüstung zum Krieg und Krieg selbst verhältnismäßig leicht zu lösen ist, nicht aber in einem freien demokratischen Staatswesen unter Aufrechterhaltung freier Beschäftigungswahl. Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen heute vor diesem für sie durch die rapide Entwicklung ihrer Industrie wie ihrer Urproduktion während des Krieges sehr ernsten Problem. Es sei in diesem Zusammenhang auf das in der vom «Delegierten für Arbeitsbeschaffung» in der «Schriftenreihe zur Frage der Arbeitsbeschaffung» herausgegebenen, im «Institut für Wirtschaftsforschung an der E. T. H.» bearbeiteten verdienstvollen Werk von Dr. Charles La Roche «Beschäftigungspolitik in der Demokratie» hingewiesen.

Bei allen diesen Gedanken und Lehren handelt es sich zweifellos um zu den traditionellen «klassischen» in Gegensatz stehende Vorstellungen. Es handelt sich aber doch nicht um etwas absolut Neues. Schon in Mandevilles Bienenfabel finden wir in anschaulicher Weise geschildert, wie die Wirtschaft des Bienenvolkes zufolge einer mit Erfolg durchgeführten, gegen den Luxuskonsum gerichteten Sparkampagne in Verfall gerät und das ganze Getriebe der gesellschaftlichen Wirtschaft zum Stillstand kommt. Es handelt sich da allerdings noch nicht um den Gedanken eines Auseinandergehens von Sparen und Investieren, aber um den diesem zugrundeliegenden Gedanken der Notwendigkeit des Konsums und sogar eines gewissen Luxuskonsums für das reibungslose Funktionieren der modernen gesellschaftlichen Wirtschaft. In aller Klarheit ausgesprochen findet sich aber der Gedanke von dem Schwanken der Investitionstätigkeit und mit ihr der Wirtschaftstätigkeit im allgemeinen zwischen Ueberinvestition und guter Konjunktur einerseits und Unterinvestition bzw. Uebersparen und Krise andererseits in den «Neuen Prinzipien der Nationalökonomie» vom großen Schweizer Sismondi, und dann nicht weniger klar und entschieden in den «Principles» von Malthus, der selbst zum Kreis der Klassiker gerechnet wird. Und schließlich findet sich in den «Principles» von J. St. Mill der Gedanke klar ausgesprochen, daß es in einem Land nicht nur zu wenig, sondern auch zu viel Kapital geben könne und die Folge davon kapitalzerstörende. Krisen sein müssten, daß eine gewisse Kapitalzerstörung unter Umständen

gewissermaßen notwendig sei, um der Bildung neuen Kapitals Platz zu machen.

Nun, die Anschauungen aller dieser Schriftsteller haben im 19. Jahrhundert nicht Anerkennung zu erringen vermocht und waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten. Sie wurden als merkwürdige, gar nicht verständliche Häresien angesehen. Sie konnten in der Tat auch gar nicht verstanden werden von denen, die in der klassischen Grundkonzeption von einer freien, stets nach Vollbeschäftigung tendierenden Konkurrenzwirtschaft zu denken gewohnt waren. Denn sie bedeuteten einen logisch unverständlichen Widerspruch hiezu. Die Tatsachen, auf die sie sich bezogen, konnte und wollte man sich nicht anders erklären als dadurch, daß in den Mechanismus der Konkurrenzwirtschaft eben von außen eingegriffen wird, sei es, daß er durch monopolistische Bestrebungen außer Wirksamkeit gesetzt wird oder durch politische Einflüsse und wirtschaftspolitische Maßnahmen in anderer Weise zu funktionieren gezwungen wird, als er es bei freiem Gewährenlassen, bei «Laissez faire» von selbst tun würde. Erst seit Keynes ist nun die Ansicht durchgedrungen, daß er von selbst eben gar nicht so funktionieren kann, wie von der klassischen Konzeption angenommen wurde.

Aber auch viele von denen, die die moderne Grundkonzeption vom Wirken des Automatismus der Marktwirtschaft annehmen, können sich schwer mit den praktischen Konsequenzen die daraus folgen, befreunden, mit der grundsätzlich interventionistischen Einstellung der Wirtschaftspolitik. Sie kommen ihnen gefährlich vor, und sie sind es auch in einem gewissen Sinne. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens einmal, weil es viel leichter ist, in der einen Richtung zu intervenieren, nämlich in der Richtung des geringeren Widerstandes, als wie es ebenso notwendig ist, in der anderen, und weil es im einen Fall schwer ist, das richtige Mass zu finden und überhaupt Mass zu halten. Es ist nämlich leichter, in schlechten Zeiten — in der Krise — mehr auszugeben — wenn man entsprechenden Kredit geniesst —, als man einnimmt, also mit Defiziten zu wirtschaften, als in guten Zeiten — in der Konjunktur —, wenn die Mittel reichlich fliessen, sich einzuschränken, mit Ueberschüssen zu wirtschaften und diese zur Abdeckung der in der Krise eingegangenen Verpflichtungen, wenn die Gläubiger es gar nicht wünschen, zu verwenden. Es besteht daher die Gefahr, daß die Budgets überhaupt

nie — auch auf lange Sicht nicht — ausgeglichen werden und es zu einer fortschreitenden, über die Zunahme des Volkseinkommens hinausgehenden öffentlichen Verschuldung kommt, die schließlich in die heute übliche Form des Staatsbankrotts, in einer Inflation ausmünden muß. Desgleichen ist es leichter, in der Krisenzeit an den Symptomen herumzukurieren, als im Konjunkturaufschwung vorbeugende Konjunkturpolitik zu treiben, was unter Umständen eine unpopuläre Erhöhung des Zinsfußes, eine Politik des «teueren Geldes» an Stelle der Politik des «billigen Geldes» erforderlich machen würde.

Aber es erhebt sich ein noch viel schwerer wiegendes Bedenken gegen den grundsätzlichen Interventionismus; Der Interventionismus hat sein eigenes Schwergewicht. Wenn man einmal mit ihm anfängt, so weiss man nie, wo er aufhört. Und es besteht die Gefahr, dass er überhaupt nirgends aufhört oder anhält und daß er schließlich in eine volle Zwangswirtschaft ausmündet. Die mit dem Interventionieren betrauten Organe haben den natürlichen Drang, sich zu betätigen und gar kein Interesse, irgendwo Halt zu machen. Mit der wirtschaftlichen Freiheit ist aber die Freiheit überhaupt in Gefahr.

Es ist daher nicht zu verwundern, daß dem extremen Keynesianismus auch entschiedene Gegner entstanden sind, Gegner, die die Freiheit für ein so hohes Gut halten, daß sie Anschauungen, die ihr gefährlich werden können, niemals glauben beipflichten zu können. Freilich, die Tatsachen, die diesen Anschauungen zugrundeliegen — das unbefriedigende Funktionieren der bestehenden Marktwirtschaft, ihre Neigung zu Unstabilität und Unterbeschäftigung — können sie nicht leugnen. Sie können nur versuchen, sie anders zu erklären, nämlich nicht aus einem ihrem Automatismus oder «Mechanismus» innewohnenden falschen Prinzip, sondern aus von aussen in ihn hineinwirkenden Kräften. Dies geschieht ja auch von jenen, die — wie Röpke, Hayek, von Missa — den Boden des alten klassischen Liberalismus nicht verlassen wollen, indem sie eben auf die Ausschaltung der Konkurrenz durch die Monopolisierungsbestrebungen und die Wirtschaftspolitik hinweisen. Ihre Argumente sind aber nicht überzeugend. Sie kommen nicht darum herum, dass, wenn man dem Wirken des Konkurrenzprinzips innerhalb des bestehenden institutionellen Rahmens freie Bahn liese, die Neigung zu Unstabilität und Unterbeschäftigung doch bestehen bliebe.

Dann bleibt aber noch ein Weg der Anderserklärung, nämlich der aus dem bestehenden institutionellen Rahmen, innerhalb dessen das Konkurrenzprinzip sich auswirken muß. Damit sind die wirtschaftlichen Grundinstitutionen, wie die Ordnung des Geldwesens, die Regelung der Arbeitszeit, der Lohngestaltung und dergleichen gemeint. Dieser Weg der Erklärung ist nun in neuester Zeit von einem in England lebenden ehemaligen Oesterreicher namens Körner in einem vor kurzem in der Schweiz erschienenen Werk mit dem Titel «Das Freiheitsgesetz als Mittel gegen Krieg und Armut» zu begehen versucht worden. Was falsch ist — erklärt er — und die Konkurrenzwirtschaft nicht befriedigend funktionieren läßt, ist nicht ein ihrem Automatismus innewohnendes falsches Prinzip, sondern —abgesehen von den äusseren hemmend auf sie wirkenden Einflüssen —der institutionelle Rahmen, innerhalb dessen das Konkurrenzprinzip sich auswirken muss. Falsch und einem befriedigenden Funktionieren des Marktautomatismus hinderlich sei vor allem unsere Ordnung des Geldwesens: Die Verknüpfung des Geldes mit einer bestimmten Geldmenge anstatt mit einer bestimmten Arbeitsmenge und die starre Fixierung der Wechselkurse. Falsch und ein befriedigendes Funktionieren der Konkurrenzwirtschaft hindernd sei ferner die Fixierung der Arbeitszeit und die Variabilität des Lohnes anstatt umgekehrt, den Lohn zu fixieren und die Arbeitszeit nach Maßgabe der bald größeren bald kleineren Nachfrage nach Arbeit zu variieren — so ähnlich, wie ein Absatzkartell die von seinen Mitgliedern zu produzierende Menge einer Ware, das «Kontingent», nach der größeren oder kleineren Nachfrage und Absatzmöglichkeit variiert. Mit einer entsprechenden Veränderung dieser und einiger anderer institutioneller Voraussetzungen, vor allem natürlich auch Beseitigung aller Beschränkungen des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs, würde — so meint Körner — sehr wohl ein durchaus befriedigendes Funktionieren des Mechanismus der freien Konkurrenzwirtschaft zu erreichen sein. Es ist so, um diese Anschauung mit einer aus der Mechanik entnommenen Analogie leichter verständlich zu machen, wie eine Maschine nicht bei einer über einen bestimmten Grad hinausgehenden oder unter einem bestimmten Grad zurückbleibenden Temperatur richtig funktionieren kann, sondern nur innerhalb einer bestimmten nach oben und unten begrenzten Temperaturspanne.

Es ist also wohl die bestehende Marktwirtschaft, die nicht befriedigend funktioniert, aber es liegt nicht in ihrem Automatismus, daß sie nicht befriedigend funktionieren kann, sondern im institutionellen Rahmen, in dem sie zu funktionieren gezwungen ist. Man ändere diesen entsprechend, und man wird Freiheit mit Wohlstand und Sicherheit sehr wohl verbinden können. Das ist die Grundanschauung Körners, eine Vorstellung, die allerdings nur zu realisieren wären in einer einheitlichen, nicht in eine Zahl «selbständiger» Volkswirtschaften aufgesplitterten Weltwirtschaft.

Damit wäre — in einem gewissen Sinne — wieder eine Rückbiegung zur Klassik vollzogen; insbesondere zu ihrem Begründer Adam Smith, der allerdings noch keine konkretisierte Vorstellung von einem solchen neuen institutionellen Rahmen gehabt hat, bei dem sich aber. immerhin manche Andeutung, die darauf hinweist, — wie zum Beispiel die Auffassung der Arbeit als eigentliches, natürliches Wertmass — findet. Es ist eine neue und positive Theorie des Laissez faire, die nicht wie die klassische mit den gegebenen Institutionen als Voraussetzung rechnet, und sich insofern doch wesentlich von ihr unterscheidet —, sondern diese zunächst einmal einer kritischen Beurteilung untersteht und ihre Reformbedürftigkeit aufweist. Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität wären danach wohl auch in diesem neuen Rahmen nicht zu vermeiden, aber sie wären auf ein Minimum reduziert, und vor allem würde das Hauptärgernis der bestehenden Wirtschaftsordnung, die Voll- und Massenarbeitslosigkeit ausgeschaltet und der Weg zur Verwirklichung des Ideals der wirtschaftlichen Entwicklung: kontinuierlich zunehmender Wohlstand mit abnehmendem Arbeitsaufwand freigelegt.

Das Bild, das ich im Vorhergehenden von der modernen Nationalökonomie gezeichnet habe, indem ich sie der als «klassische» (in einem weiteren Sinn) bezeichneten gegenübergestellt habe, zeigt wohl ganz bestimmte — von denen dieser abweichende, ja ihnen entgegengesetzte — charakteristische Züge, aber doch noch kein festes und endgültig ausgeprägtes Gesicht. Der Zustand der nationalökonomischen Wissenschaft ist heute der einer lebhaften Gärung, in deren bisherigen Verlauf sich zwar schon manches, aber doch noch nicht alles geklärt hat. Manches, was vor zehn Jahren noch auf das heftigste umstritten war, ist heute allgemein oder wenigstens weitgehend

anerkannt, manch anderes ist aber immer noch umstritten und bedarf noch weiterer Klärung.

Wenn die Nationalökonomie noch nicht jenen «sicheren Gang einer Wissenschaft» erreicht hat, von dem Im. Kant in der «Vorrede zur zweiten Ausgabe» seiner «Kritik der reinen Vernunft» spricht und den er da vor allem der «Logik von den ältesten Zeiten her» nachrühmt, so darf bei der Beurteilung dieses Faktums zweierlei nicht übersehen werden. Einmal, daß sie eben noch eine sehr junge Wissenschaft ist, noch nicht eine Entwicklung von 200 Jahren hinter sich hat —gegenüber etwa der Rechtswissenschaft und auch mancher Naturwissenschaften, die eine Entwicklung von 2000 Jahren hinter sich haben, —zweitens aber insbesondere, daß auf ihrem Gebiet der Gewinnung fester, nicht mehr anzweifelbarer Wahrheiten gewisse Schwierigkeiten entgegenstehen, die die Naturwissenschaft nicht kennt und denen zufolge sie auch nie jene Festigkeit und Sicherheit wird erreichen können, die die Naturwissenschaften oder wenigstens gewisse unter ihnen auszeichnen.

Die Nationalökonomie hat es, so wie die Physik, mit mathematisch bestimmbaren Grössen zu tun — weshalb in ihr auch die mathematische Ausdrucksweise immer mehr Anwendung findet —; mit angebotenen und nachgefragten Mengen wirtschaftlicher Güter — gewöhnlich als «Angebot» und «Nachfrage» bezeichnet — Produkten und Produktionsmitteln, Boden, Kapital und Arbeit; mit angebotenen und nachgefragten Geldsummen und auf solche lautenden Forderungsrechten; mit produzierten Gütermengen dem «Nationalprodukt» —, ein- und ausgeführten Gütermengen und deren Geldwert — gewöhnlich als «Einfuhr» und «Ausfuhr» bezeichnet (was wörtlich nur den Akt des Einführens und Ausführens bedeutet); mit in Geld ausgedrückten Preisen, Angebotspreisen, Nachfragepreisen, Marktpreisen; mit in Geld berechneten und ausgezahlten, aber letztlich in Gütermengen bestehenden Einkommen, Löhnen, Zinsen, Renten. Sie hat es ferner mit gewissen Kräften zu tun, durch die diese Größen bestimmt werden. Wodurch und in welcher Weise, im allgemeinen und in speziellen Fällen sie bestimmt sind, und die möglichen und wirklichen Ursachen ihrer Veränderungen festzustellen, durch welche Kräfte und wie und in welcher Richtung solche durch sie hervorgerufen werden bzw. hervorgerufen werden können, ist die Hauptaufgabe der nationalökonomischen Theorie.

Durch welche Mittel und Maßnahmen dann gewünschte Veränderungen hervorgebracht werden können, dies zu untersuchen und festzustellen, ist die Aufgabe des praktischen oder angewandten Teiles der Nationalökonomie.

Zum Unterschied von der Physik können wir aber die meisten dieser Größen und Kräfte nicht oder nur sehr unvollkommen messen und feststellen. Wir können viele von ihnen, ihre realen mathematischen Werte wohl statistisch erheben, wir können zu verschiedenen Zeitpunkten erhobene miteinander vergleichen und so ihre Veränderungen feststellen. Aber über die Ursachen solcher Veränderungen vermag uns die Statistik nichts auszusagen, und der Weg der Naturwissenschaft, durch konkrete Experimente darauf zu kommen, ist uns verschlossen. Wir können nicht isolieren und experimentieren. Es wirken ja in der Wirklichkeit gewöhnlich mehrere Kräfte in Kombination miteinander. Der unmittelbaren Wirklichkeit kann aber nicht entnommen werden, welche Kräfte regelmäßig zusammenwirken, noch weniger mit welcher relativen Stärke sie zusammenwirken und schließlich nicht, wie durch ihr Zusammenwirken das Resultat bestimmt ist.

Das Schlimmste aber ist, dass die verschiedenen wirkenden Kräfte nicht von unveränderlicher Stärke oder Größe sind. Sie können sich im Laufe der Zeit sehr stark verändern und tun dies auch. Wir haben keine Konstanten. Eine Kraft, die heute mit relativ großer Stärke wirkt, vielleicht die ausschlaggebende Rolle in einem Zusammenhange spielt und daher hauptsächlich das Resultat bestimmt, kann morgen in Wegfall kommen oder wirkungslos werden, und eine andere kann größeres Gewicht erhalten oder auch eine vollkommen neue in Wirksamkeit treten. Auf der Annahme einer gewissen Konstanz der in der gesellschaftlichen Wirtschaft wirkenden Kräfte beruhen viele wissenschaftliche Irrtümer. Viele Voraussagen in die Zukunft, die darauf beruhen, haben sich als falsch erwiesen, weil eine der Kräfte, die früher einmal von ausschlaggebender Bedeutung war, ihre Wirksamkeit verloren hat. Ich verweise als Beispiel nur auf die Voraussagen des Marxismus über die immer weiter fortschreitende Betriebskonzentration bis zur vollständigen Verdrängung aller Klein- und Mittelbetriebe, ja aller nicht den Markt eines Landes beherrschenden Unternehmungen, und die zunehmende Verelendung der Arbeiter. Beide dieser Voraussagen hatten eine

mächtige Stütze in den Tatsachen der Welt vor hundert Jahren. Aber in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sind Kräfte auf den Plan getreten, die in ganz entgegengesetzter Richtung gewirkt haben: die staatliche Gewerbe- und Sozialpolitik, wie die Verbände und die Gewerkvereine. Auch die geistigen und technischen Kräfte und Mächte ändern sich und machen früher als gültig angesehene Gesetze ungültig. Man denke an das Malthus'sche Bevölkerungsgesetz, das auf dem zu seiner Zeit weitgehend herrschenden unbegrenzten Fortpflanzungsstreben der Menschen gegründet war, das sich im 19. Jahrhundert ins Gegenteil verwandelt hat.

Dies alles sich vor Augen haltend haben manche überhaupt an dem praktischen Wert der Nationalökonomie zu zweifeln begonnen. Aber, um praktische Wirtschaftspolitik zu betreiben, brauchen wir glücklicherweise in vielen Fällen nicht genauer, «exakter» Werte, sondern genügt es meist, das Wirken einer oder einiger weniger Hauptkräfte zu ergründen und zu kennen und die Richtung, in der sie wirken. Denn in der Wirtschaftspolitik kommt es nicht auf eine mathematisch genau bestimmbare Veränderung an — wie in der Technik —, sondern auf die Beeinflussung der Richtung, in der Veränderungen sich vollziehen oder vollziehen sollen. Eine der wichtigsten praktischen Fragen in dieser Hinsicht ist heute wohl die, ob wir in der Richtung von mehr Freiheit oder in der von mehr Zwang marschieren wollen. Dafür wird die Wirtschaftspolitik nicht nur für unsere Stellung in der Wirtschaft, sondern für unsere Stellung in der Politik und in der Gesellschaft überhaupt von entscheidender Bedeutung sein, weshalb man nicht ohne Berechtigung sagen kann: Die Wirtschaft ist unser Schicksal. Ist doch auch die politische Bedrohung des Westens durch den Kommunismus eine in den wirtschaftlichen Verhältnissen gründende Tatsache.