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Reden zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Eidgenössischen Technischen Hochschule

gehalten am 21. und 22. Oktober 1955
von
Rektor Prof. Dr. K. Schmid
Bundespräsident Dr. M. Petitpierre
Ständerat Dr. E. Speiser
Schulratspräsident Prof. Dr. H. Pallmann
Cand. arch. R. Winter
Dr. H. Fietz
Bundesrat Dr. Ph. Etter
Prof. Dr. Willis Jackson
Mit einem Verzeichnis der Ehrendoktoren
der Eidgenössischen Technischen Hochschule
Polygraphischer Verlag A.-G. Zürich . 1956

Akademischer Akt
22. Oktober

Rede des Rektors der Eidgenössischen Technischen Hochschule

Prof. Dr. K. Schmid
Hochgeehrte Festversammlung!

Die gestrige Feier gedachte der Eidgenössischen Technischen Hochschule als einer Schöpfung des Bundesstaates und als eines lebendigen Teils des schweizerischen Volksganzen. Man darf es diesem Volke nicht verübeln, daß es stolz ist auf das, was ihm auf den Feldern der Wissenschaft und der Technik glückte. Dieser Stolz mag erlaubt sein; er meint nicht unsere Generation zuerst, und er ist nicht chauvinistisch. Wir meinen nicht uns, sondern denken, die Gründer dieser Hochschule und alle die anderen Hinabgegangenen, die zu ihrem Wachstum und wachsenden Ruhm beitrugen, dürften mit einigem Stolz hinblicken auf das, was sie schufen und mehrten. Es ziemt sich am Feste auch einer Hochschule, der vielen Toten zu gedenken, denen sie ihr Leben verdankt, denn C. F. Meyer hat recht, wenn er uns zufällig hier Feiernden zuruft:

Wir Toten, wir Toten sind größere Heere
als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere!

Und dieser Stolz ist nicht chauvinistisch, denn es ist der Stolz der kleinen Staaten überhaupt. in einem Jahrhundert, das so ungeheuer bestimmt wird durch die Entbindung der potentiellen Kräfte der großen, größten Mächte, Jahrhundert, das die Souveränität der Kleinstaaten in so allgemeinster Weise in Frage stellt, sind diese Kleinstaaten dankbar für jeden Bereich, der ihnen mindestens virtuelle Gleichberechtigung beläßt, und stolz auf das, was ihren kleinen Kräften hier gelingt.

Dieser Leistung des Kleinstaates galt der gestrige, vaterländische Akt. Heute sei der Hochschule gedacht. Das schließt sich aus gestern

Gesagte an, aber es wiederholt das nicht. Erblickt man unsere Technische Hochschule vor dein Hintergrunde des Staates, der Industrie und der Volkswirtschaft, so denken wir an das, was sie ins Leben gerufen hat und ihr die materiellen Mittel täglich neu verschafft. Darum war die gestrige Feier von Dank getönt; die Schule wollte denen danken, die sie erhalten, dem Volke zuerst und zuletzt.

Faßt man aber die Hochschule im engeren Sinne ins Auge und läßt man seine Gedanken in der täglichen Erfahrung der Hochschul-Existenz gründen, so verändert sich das Bild nicht unwesentlich. Wie es fur jedes Kind gilt, beansprucht auch die Hochschule — wenn sie schon ein Geschöpf des Staates ist — ein eigenes Gesetz. Ihr äußeres Schicksal ist dasjenige einer Bundesinstitution, ihr inneres Wesen ist es nicht.

Indem das Eidgenössische Polytechnikum sich als Hochschule verstand, mußte es sich an alten europäischen Maßstäben messen, die in der Gestalt der Universität gegeben sind. Ein unbeschreiblicher Höhenweg führt die akademische Idee von Athens Denkdisziplin über alexandrinische Wissens-Stapelung ins christliche Mittelalter hinein. Der Humanismus der frühen Renaissance erschließt die verschütteten Quellen der Antike aufs neue, und vom Beginne der Neuzeit an schafft der wissenschaftliche Eros, von der kirchlichen Dogmatik mehr und mehr sich befreiend, immer neue Stätten der Forschung und der Lehre — aber um sie alle schließt sich, loser empfunden oder als Verpflichtung stärker bedacht, immer noch das Band der alt-würdigen Namen «Universität» und «Akademie». Erst die französische Revolution setzte neben vielem anderem auch dem Ancien régime der Universitäten ein Ende; sie brach den numerus clausus der hochschulwürdigen Disziplinen auf und meldete die Hochschulansprücbe auch der nicht durch humanistische Patina geadelten technischen Wissenschaften an; im Jahre 1794 wurde die Ecole polytechnique in Paris gegründet. Von nun an gibt's in der akademischen Familie den technischen Wechselbalg, und wie's mit den Wechselbälgen steht: sie sind an vielleicht unwählerischer Vitalität den legitimen Kindern des Hauses oft überlegen...

Ganz ohne Zweifel sind die Gefühle der Universitäten gegenüber den technischen Hochschulen immer noch mehr oder minder vom blaublütigen Mißtrauen der Alt-Eingesessenen gegenüber den Nouveaux-riches getönt — und nicht ohne Recht. Noch sicherer aber fühlen die technischen Schulen, wenn sie sich als Hochschulen bezeichnen, das Bedürfnis, sich vor dem Sinn und Anspruch dieses Namens «Hochschule» zu rechtfertigen.

Die einfache Tatsache, daß das Polytechnikum an die Mittelschule anschließt wie die Universität und die selben intellektuellen und Wissens-Anforderungen an die Eintretenden stellt wie jene, würde den Namen der «Hochschule» noch kaum erlauben. Das wäre zu äußerlich; es hat mit dem inneren Stil der Hochschule noch nichts zu schaffen Universitas im alten, soziologischen Sinne des Wortes ist die technische Hochschule freilich auch: Universitas der Lehrenden und Lernenden. Doch auch das genügt nicht. Die andere Interpretation des Wortes Universität aber als der Universitas literarum schlösse die technische Hochschule nun eben aus. Das ist sie nicht und kann sie nicht sein. Man pflegt deshalb zu Recht zu sagen, Hochschulcharakter komme einer technischen Bildungsanstalt nur insofern zu, als sie über die Lehre hinaus auch Stätte der Forschung sei und als der Wille zur Erkenntnis ihr höchstes Gesetz darstelle. Der besondere wissenschaftliche Erkenntniswille bestimmt den Geist der Hochschulen auf der ganzen Welt, wie er das Geheimzeichen jedes einzelnen Akademikers ist.

Faßt man es so, vergleichsweise abstrakt, so wird man den technischen Schulen die Möglichkeit hochschulmäßigen Wesens nicht absprechen können. Das Ethos akademischer Wissenschaftlichkeit hängt gewiß von den Gegenständen dieser wissenschaftlichen Bemühung nicht ab; die Hochschulfrage ist qualitativer Natur und nicht eine der Materialien.

Aber es ist nützlich, sich über die Besonderheit der technisch-naturwissenschaftlichen Hochschulen gegenüber den Universitäten klassischen Stils klar zu sein. In die Augen springt sogleich etwas Einschränkendes und etwas Erweiterndes. Die Einschränkung liegt offenbar darin, daß es im allgemeinen nur der mundus sensibilis ist, dem der Erkenntniswille sich hier zuwendet. Die Natur ist der

große, der einzige Gegenstand, dessen Gesetze bloßzulegen es gilt. Das Metaphysische und Transzendente, die Räume der theologischen, philosophischen und juristischen Fakultäten, sind ausgeschlossen. Diese für das Atmosphärische der technischen Hochschulen hochbedeutende Verschmälerung des Wissensfeldes ist aber nur das eine ihrer großen Kennzeichen; es bestimmt ihren Charakter der strikten Naturwissenschaftlichkeit. Wenn das gegenüber dem alten Universitätsbilde doch in erster Linie als Defizienz erscheint, so tritt nun aber ein zweites entscheidendes Merkmal hinzu, das über die Naturwissenschaftlichkeit hinaus ihre Technizität begründet: an die Seite des auf die Natur gerichteten Erkenntniswillens tritt der technische Wille, der Wille nämlich, auf Grund des in der Natur Erkannten über das in der Natur Vorgefundene hinaus Neues zu schaffen. Dinglich zu schaffen, was es in der vorhandenen Natur nicht gibt.

Was wir als das Besondere der technisch-naturwissenschaftlichen Hochschule empfinden, ihre besonderen Möglichkeiten wie ihre besondere Gefährdung, hängt damit zusammen. Ihre ungezählten Andersartigkeiten gegenüber der Universität sind letztlich auf drei ihr eigentümliche Intensitäten zurückzuführen, die mit der Natur. wissenschaftlichkeit und mit der Technizität zusammenhangen

Diese drei Eigentümlichkeiten sind:

— die besondere Intensität des Lehrbetriebs,

— die besondere Intensität der Verbindung mit der Gesellschaft außerhalb der Hochschule,

— und die besondere Art und Intensität des Interesses, das der Staat den technischen Hochschulen entgegenbringt.

Der Lehrbetrieb der technischen Hochschulen läßt der alten akademischen Lernfreiheit des Studenten nur mehr sehr wenig Spielraum. Wenn schon die Universitäten die Freiheitsrechte des Adepten zu beschneiden begannen, so ist die technische Hochschule von jenem für Lehrer und Schüler goldenen Zeitalter der Freiheit noch weiter entfernt, da Jacob Grimm (1849) sagen konnte: «Fast zwecklos sind die im Lauf der Studienzeit geforderten Zeugnisse über Besuch der Vorlesungen; verderblich alle erteilten Vorschriften

über den Besuch unumgänglicher Vorlesungen, wodurch die andern zu gleichgültigen oder unnötigen herabgesetzt werden, denn nichts Wissenschaftliches ist an seiner rechten Stelle ohne innere Notwendigkeit, und die Auswahl muß den Studierenden oder dem Beispiel und einer sich von selbst einfindenden, nicht zu greifenden aber zu fühlenden Autorität der Lehrer in bezug auf die Güte ihrer Vorträge ruhig überlassen bleiben. Der Mensch hat auch ein Recht darauf, mitunter faul zu sein oder zu scheinen und sich, wie er will, gehn zu lassen oder über die Wahl eines Lehrers oder seine eigne Neigung gänzlich zu täuschen. Das alles ist seine Sache, nicht die anderer, und soll ihm nicht nachgetragen werden.» Daß wir in hundert Jahren von dieser höchst liberalen Konzeption des Hochschulstudiums so weit abgewichen sind, gehört nicht unbedingt zu den Zierden der Gegenwart; die demokratische Sorge um die gleichmäßige Förderung aller hat auch die Gefilde der Bildung mit einem normierenden Koordinatennetz von Regelungen und Vorschriften überzogen, das unsere Freude an dieser Landschaft kaum erhöht. Wenn aber die technischen Hochschulen hierin noch weiter gegangen sind als die Universitäten, so geschah es freilich nicht ohne Grund. Jacob Grimm schwebte bei seiner Apologie der Studienfreiheit der philologische oder der theologische Student vor, für den die Bücher Wesentlichstes leisten können; der Vorlesungen und der unablässigen Anwesenheit in der Hochschule bedarf er weniger. Die Ausbildung der Ingenieure und der Naturwissenschafter aber ist heute an die Laboratorien gebunden. Die Hochschule, die ihnen eine gewaltige apparative Hilfswelt zur Verfügung stellt, muß durch Studienpläne darüber wachen, daß das Fundamentalverhältnis von Grundlagenwissen und praktischer Spezialisierung gewahrt bleibt.

Die Vorteile dieser unserer strengen Studienpläne sind bekannt. Die höhere Einsicht derjenigen, die sie aufstellen, erspart dem Studenten manche Abirrung und führt ihn rascher zum guten Ziele, als er es aus eigener Kraft vermöchte. Aber die Gefährdung sei nicht verschwiegen; es ist eine Gefährdung des Hochschulcharakters, und nicht nur eine fur den Studenten allein. Die Fülle von Vorlesungen, die zum reinen Unterricht werden und die der Dozent

mit lähmender Regelmäßigkeit und Vollständigkeit Jahr für Jahr wiederholen muß, wenn er nicht den Studenten um seine Examenschancen betrügen will, ist, zusammen mit der administrativen Belastung des Institutsleiters, geeignet, den Professor zu einem wissenschaftlichen Funktionär werden zu lassen, für den die wirkliche Lehrfreiheit nur noch ein fernes Phantom ist. Das Korrektiv gegen diese Verschulung der Hochschule liegt in der Forschung. Für ihre äußere Ermöglichung durch finanzielle Hilfe ist in den letzten Jahrzehnten viel geschehen. Aber die Erfahrung des Alltages zeigt, daß dieser intensive Unterricht das Pflichtenheft sehr vieler Professoren in einem Maße angefüllt hat, welches die innere Möglichkeit der Forschung gefährlich einschränkt. In der Regelung und Verschreibung der Studien ist an der Technischen Hochschule wohl ein Äußerstes erreicht. Es ist dafür Sorge zu tragen, daß die hochschulmäßige innere und äußere Atemfreiheit des Dozenten und des Studenten nicht einem ehrgeizigen Ausbildungs-Perfektionismus vollends zum Opfer gebracht werde.

Das Zweite, was die technische Hochschule bezeichnet, sind die zahlreichen Bindungen an die Weit außerhalb ihrer Mauern. Für die Universität ist doch, mindestens teilweise, das alte Bild immer noch wirksam, wonach es sich bei ihr um einen Raum außerhalb der Welt handelt, der ihrer trivialen Zweckhaftigkeit enthoben und der Wissenschaft geweiht ist. «Aller andern Lust vergessend», sagt Jacob Grimm, der es wissen mußte, in seiner höchst ernsten Akademierede über «Schule, Universität, Akademie», «sitzt der deutsche Gelehrte froh über seiner Arbeit, daß ihm die Augen sich röten und die Knie schlottern ...» Der Zug zum Mönchisch-Weltabgewandten ist unüberhörbar. Der Gelehrte aber, der an einer technischen Hochschule wirkt, zeigt, um im Bilde zu bleiben, mehr das Gepräge eines Laienpriesters, für den es keine Klausur gibt. Es ist allgemein bekannt und ist gestern mehrfach und aufs eindrücklichste dargetan worden, daß unsere technische Hochschule — und es gilt das wohl für ihre Schwesteranstalten auf der ganzen Welt — nicht sein könnte, was sie ist, ohne den dauernden und innigen Kontakt mit außerakademischen Bereichen: der Industrie, der Land- und Forstwirtschaft, der Praxis im allgemeinsten Sinne.

Dreifaches verdankt sie dieser Nachbarschaft. Mit den Forschungs- und Entwicklungsinstituten großer industrieller Unternehmungen und Verbände ist die Hochschule mannigfach personell und wissenschaftlich verbunden, zu beidseitigem Nutzen. Sodann gibt es bei eigentlich technischen Erfindungen und Entwicklungen immer den Punkt, wo das theoretisch Entworfene der Probe der Verwirklichung unterworfen werden muß. Da wandert mit den in der Hochschule entstandenen Studien, Zeichnungen und Modellen auch der Professor hinaus und an den Ort, wo das geistig Geschaffene nun ins Werk gesetzt wird. Und schließlich ist der Forschungsbetrieb an der technischen Hochschule ohne die dauernde finanzielle Hilfe der Privatwirtschaft und privater Förderungsgesellschaften gar nicht mehr denkbar. Daß von dem, was an der technisch-naturwissenschaftlichen Hochschule gearbeitet wird, auch wenn es zunächst ganz zweckfreie Forschung darstellt, das Meiste früher oder später der Schaffung von Gütern, der Erhöhung des Ertrages und der Förderung der Rentabilität dienstbar gemacht werden kann, das wirtschaftliche Interesse also im weitesten Sinne verschafft ihr diese Förderung, der die sogenannten geisteswissenschaftlichen Universitätsfakultäten weitgehend entbehren müssen.

Unsere Dankbarkeit für all dies ist kein leeres Wort. Aber auch die Sorge ist nicht grundlos, daß solch starke Verflechtung der Hochschule mit der Wirtschaft eine Abhängigkeit zur Folge haben könnte, die den Hochschulcharakter leise tangiert. Daß sie nützen, ist auch eine Gefahr für die technischen Wissenschaften. Es ist nicht der Dozent, der in Frage steht; seine Wissenschaftlichkeit ist durch Geld nicht zu berühren. Aber an die Studenten ist zu denken, an die Öffentlichkeit und nicht zuletzt an Behörden und Verwaltungsstellen. An die Studenten vor allem: die Gefahr ist da, wir erfinden sie nicht, daß die Studenten die wissenschaftlichen Disziplinen der Hochschule nach der Generosität klassifizieren, mit denen ihre Institute durch die an ihnen interessierte Wirtschaft ausgestattet worden sind. Von da ist's dann nur noch ein Schritt bis zu der verwerflichen Einstellung junger Menschen, die überhaupt eine menschliche Tätigkeit nur noch nach dem bemessen, was sie einbringt. Eine Institution ist aber nur wert, Hochschule zu heißen,

wenn die Überzeugung überall und allgemein gilt, daß jede Wissenschaft von Hause aus die gleiche Würde besitzt, ob Zeus ihr nun den Danae-Schoß mit Gold fülle oder nicht... Die Gaben der Wirtschaft dürfen immer nur ein Zusätzliches sein, das ein Zusätzliches an Leistung hocherfreulich ermöglicht. Aber sie überbinden den für das Wohl der Hochschule Verantwortlichen erst recht die Pflicht, für die gerechte Dotierung aller Lehrstühle besorgt zu sein. Dankbar dafür, daß dem bisher so war, dankbar dein Staate und dankbar der Wirtschaft, hofft die Technische Hochschule, daß Bestand und Gedeih aller ihrer vielen Glieder nie von der Gunst des Zufalles abhangen mögen.

Das Dritte, was die Existenzform der technischen Hochschulen von derjenigen der Universitäten offenbar unterscheidet, ist das spezifische Interesse des Staates an ihren Arbeitsrichtungen und Ergebnissen. Universitäten werden gegründet um der Wissenschaft willen; von technisch-naturwissenschaftlichen Schulen verspricht sich der Staat selbst etwas, für seine Industrie, für die Volkswirtschaft ganz allgemein, und, was in seinen Folgen am weitesten trägt, für seine militärische Stärke.

An der kleinstaatlichen Hochschule, deren Zentenarium uns hier zusammenführt, läßt sich das auch ablesen; viel stärker wird es augenscheinlich, wenn wir an Entwicklungen denken, wie sie in den letzten Jahrzehnten bei allen Großmächten festzustellen waren. Die totale Mobilmachung der Nationen auf der einen Seite, die ungeheure Technisierung des Krieges anderseits führten zu einem Interesse der Machthaber an der Totalität des Technischen, wie es noch zu Beginn unseres Jahrhunderts nicht vorzustellen gewesen wäre. Technisch-naturwissenschaftliche Eliten, die apolitisch-friedlichen Gelehrten von gestern, bilden heute ein Kernstück des militärischen Potentials der großen Staaten; die Stätte der technischen Wissenschaft ist virtuell eine Rüstungsstätte. Welch unvorstellbare Mittel der Staat im Notstand der Nation den technischen Wissenschaften über Nacht zukommen zu lassen bereit ist, ist uns noch in eindrücklicher Erinnerung. Wenn man Wissenschaftern die Pässe entzieht, um ihre Abwanderung ins Ausland zu verunmöglichen, so ist das

nur die logische Folge dieser Tatsache, daß die technischen und Naturwissenschaften zu militärischen Potenzen geworden sind.

An dieser Sachlage vermögen wir nichts zu ändern. Die phantastische Idee, daß die Wissenschafter aller Länder in einer tief sittlichen, freiwilligen Askese dem Staate ihr Wissen verweigern, käme nur der Skrupellosigkeit derjenigen zugute, die diesen Streik brächen. Das Gewissen mag sich ein Stück weit beschwichtigen lassen durch die Erfahrung, daß die Ergebnisse der so bedenklich geförderten Wissenschaften dann ja auch friedlicheren Zwecken dienstbar gemacht werden können, wie es mit der Atomenergie jetzt zu geschehen beginnt. Aber es bleibt «ein Erdenrest, zu tragen peinlich». Die Freude über die Entwicklung der technischen Hochschulen auf der ganzen Welt, die Freude auch an einem so friedlichen Jubiläum, wie wir es heute harmlos feiern, wird durch unser Wissen gedämpft, daß für Hunderte von Millionen einfacher, arbeitsamer Menschen auf der ganzen Erde der Name der Technik mit der Angst vor dem Kriege unlöslich verbunden ist. Das haben die technischen Hochschulen zu bedenken. Die ältesten Universitäten des alten Kontinents zeichneten sich durch ein Maximum an Autonomie gegenüber den Fürsten, dem Staate aus, und nach möglichster solcher Autonomie wird jede Hochschule immer und überall streben. Der Kleinkrieg gegen Ein- und Übergriffe aller möglichen Verwaltungsstellen gehört zum Alltag der Hochschulen. Aber wir wollen dessen bewußt sein, daß dieses Widerstandsrecht der Hochschule gegenüber dem Staate sie vor allem dazu verpflichtet, die höchste ihrer Autonomien nicht freiwillig an die Macht zu verkaufen: die Autonomie in der Bestimmung ihrer Wissenschaftsziele.

Die Atomkonferenz dieses Sommers in Genf, wo die Forschungsergebnisse aus vielen Staaten wieder einmal auf den einen Tisch der Wissenschaft gelegt wurden, empfand man als Lichtblick in einer Zeit, die dadurch gekennzeichnet ist, daß die staatliche Macht den technischen Instituten — zwar mit Gold verbrämt — die Forschungsrichtungen befiehlt und auch von Fall zu Fall dekretiert, was publiziert werden darf und was nicht. Und doch war es nicht mehr als eine Rückkehr in die gute alte Zeit. Und weniger ein

Aufstand der Wissenschafter als ein Zugeständnis der Politiker. Von diesen und von der Entscheidung über Krieg und Frieden, vom Verschwinden der Bedrohung aus der Welt wird es abhangen, ob in Zukunft den Angehörigen der technischen Hochschulen jene tragischen Alternativen erspart bleiben, vor die — um einen Einzigen als Symbol zu nennen —Albert Einstein sich gestellt fand: die tragische Alternative nämlich, entweder das Grauenhafte selbst zu fördern oder aber das Grauenhaftere geschehen zu lassen...

So viel, meine Damen und Herren, über die besondere Problematik der technischen Hochschule. Ihr besonderer Lehrbetrieb, ihre außerordentliche Offenheit gegen das Ganze der Gesellschaft hin und die Besonderheit des Interesses, das die Staatsmacht den an ihr gepflegten Dingen zuwendet — all dies kam auch unserer Hochschule zugute. Wenn wir es nicht verschweigen wollten, daß von diesen drei Tatsachen her auch Gefahren für die akademische Idee, die Idee der Freiheit der Hochschule, drohen, und wenn man uns deswegen vorwerfen sollte, die heitere, die dankgetönte Harmonie schwermütig gestört zu haben, so müßten wir antworten: um nichts in der Welt willen darf verschwiegen werden, was zu Ehren der Geistesfreiheit zu sagen ist. Und wir glauben, daß auch die technische Hochschule eine Stätte der Geistesfreiheit sein sollte, wie die Universität es ist.

Und dann: ist es nicht gerade das innerlichste Zeichen des akademischen Gesprächs über die Fragen der Naturwissenschaft und der Technik, daß es ein Element der schwermütigen Skepsis enthält, verglichen mit all der euphorischen Leichtfertigkeit der Menge, welche die Fortschritte der Wissenschaft und der Technik laut und unbedenklich bejubelt? Als unsere Eidgenössische Technische Hochschule gegründet wurde, war der technische Optimismus Allgemeingut. Unsere Zeit ist demgegenüber dadurch gekennzeichnet, daß wir einerseits das Gefühl haben, überhaupt erst am Beginn des technischen Zeitalters zu stehen, anderseits aber von erschütternden Einblicken in ihre eschatologischen Möglichkeiten überfallen werden. Nicht der vielzitierte Mythos von Prometheus, der die Menschheit beglückte, indem er sich gegen die Götter auflehnte,

bestimmt unser Denken über die Technik. Der andere ist's, der Bruder, Epimetheus, der Pandora aufnahm mit ihrem Gefäß. Es hat wohl in der Geschichte der Menschheit noch nie einen Augen. blick gegeben, wo es deutlicher hätte werden können als heute, daß die Technik das Geschenk der Pandora ist: voll ungeheurer, unabsehbarer Möglichkeiten wie im Guten so zum Bösen. Das tief zu empfinden, verbindet zutiefst diejenigen, die an technischen Hochschulen wirken. Vor 150 Jahren hat Schiller den Künstlern zugerufen:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben —
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! mit euch wird sie sich heben! —

Heute riefe er es nicht minder denen zu, deren Hand das göttliche, das tief zwiespältige und darin auch tief menschliche Geschenk der Technik anvertraut ist. Solches Gefühl der Verantwortung erfülle uns an der Schwelle des zweiten Jahrhunderts unserer Schule. Die Würde der Hochschule enthält ein Stück Würde der Menschheit.