reden.arpa-docs.ch Rektorats Reden © Prof. Schwinges
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

ÜBER DAS ALTERN

JAHRESBERICHT 1968/69
ART. INSTITUT ORELL FÜSSLI AG, ZÜRICH

INHALTSVERZEICHNIS
I. Rektoratsrede 3
II. Ständige Ehrengäste der Universität 16
III. Jahresbericht 17
1. Erziehungsrat und Hochschulkommission . . . . 19
2. Rektorat 20
3. Senat 20
4. Senatsausschuß 20
5. Dozentenschaft 21
6. Organisation und Unterricht 35
7. Feierlichkeiten, Kongresse, Konferenzen . . . . 55
8. Ehrendoktoren und Ständige Ehrengäste . . . . 57
9. Studierende 59
10. Prüfungen. 61
11. Preisinstitut 63
12. Witwen-, Waisen- und Pensionskasse der Professoren
der Universität 66
13. Kranken- und Unfallkasse der Universität. . . . 68
14. Stiftungen, Fonds und Stipendien 68
15. Zürcher Hochschul-Verein 74
16. Stiftung für wissenschaftliche Forschung an der
Universität Zürich 76
17. Jubiläumsspende für die Universität Zürich . . . 80
18. Julius Klaus-Stiftung 82
19. Vergabungen 84
IV. Nekrologe 90

FESTREDE DES REKTORS PROFESSOR DR. GIAN TÖNDURY

gehalten an der 136. Stiftungsfeier der Universität Zürich
am 29. April 1969

Über das Altern

«Du wirst nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen; denn neues und immer neues Wasser fließt dir zu.» Diesen Ausspruch von Heraklit von Ephesus, den seine Zeitgenossen den Dunklen nannten, möchte ich meinen Ausführungen voranstellen. Der Fluß, beharrend in stetem Wechsel, erschien Heraklit als Gleichnis der Welt. «πάντα ςεί», alles fließt, nicht nur die Welt um uns, auch wir selbst sind von einem Moment zum andern nicht mehr dieselben. Wir glauben, die gleichen Wesen zu bleiben; in Tat und Wahrheit ist in einigen Jahren von den materiellen Bausteinen unseres Körpers kaum mehr etwas vorhanden. Neue chemische Verbindungen, neue Zellen und Gewebe sind an ihre Stelle getreten. Bertalanffy sagt: «Die Formen des Lebendigen sind nicht, sie geschehen; sie sind Ausdruck eines immerwährenden Stromes von Materien und Energien, der den Organismus gleichzeitig durchzieht und ihn bildet.» Darin liegt ein wesentlicher Gegensatz zwischen der unbelebten und der belebten Natur: Ein Kristall verharrt in seinem Aufbau, vielleicht durch Jahrmillionen; die Formen des Lebendigen sind nur äußerlich beharrend und gleichbleibend; in Wahrheit sind sie Ausdruck eines immerwährenden Geschehensflusses.

Dieser stetige Wandel tritt uns in seiner eindrücklichsten Form in der Entwicklung eines Lebewesens entgegen: Entwicklung ist eine kontinuierliche Folge von Wandlungen und Umgestaltungen; sie schreitet unaufhörlich und in ununterbrochener Reihenfolge während der ganzen Lebensdauer eines Individuums, vom befruchteten Ei bis zum Tode, fort und erreicht ihren

Höhepunkt zur Zeit der Pubertät. In dieser Lebensphase ist die Anpassungsfähigkeit des Individuums an neue körperliche und auch an geistige und soziale Verhältnisse am größten.

In diesem Licht gesehen, erscheint das Altern als integrierender Vorgang im kontinuierlichen Entwicklungsprozeß der Organismen. Wachstum und Differenzierung dauern während des ganzen Lebens fort. Da sieh aber mehr und mehr Zellen im Verlaufe der Entwicklung differenzieren und sich spezialisieren, verlangsamt sich das Wachstum fortschreitend. Das postnatale Wachstum des Menschen verläuft nicht gleichmäßig; Perioden schnelleren Wachstums wechseln mit Perioden langsameren Wachstums ab, wobei die Wachstumsschwankungen erblich festgelegt sind. Das Längenwachstum sistiert nach eingetretener Reife, bei Mädchen durchschnittlich bei 16, bei Knaben bei 18 Jahren. Längen- und Breitenwachstum werden durch das Knochenwachstum bestimmt. Organe wachsen verschieden rasch, in frühen Entwicklungsstadien auf Grund von Zellwachstum, das mit Vermehrung der Zellen einhergeht. Im ausgewachsenen Zustand gleicht die Zellneubildung den durch die natürliche Mauserung entstehenden Zellverlust nur noch aus. Hochdifferenzierte Organe, wie Herz, Lungen, Leber, Nieren und Gehirn, stellen ihr Wachstum zu verschiedenen Zeitpunkten des Lebens ein. Ihre Wachstumskurven zeigen einen deutlichen Wendepunkt, nach dessen Überschreiten das absolute Organgewicht kleiner und damit ihr Wachstum negativ wird. Der Wendepunkt für Herz und Lungen liegt bei 60, derjenige für Leber und Nieren bei 40 und derjenige für das Gehirn bei 25 Jahren.

Was ist Altern? Aus unserer bisherigen Betrachtung ergibt sich, daß es sich um einen von der Geburt oder sogar von der Befruchtung an kontinuierlichen Prozeß handelt, der nicht nur durch morphologische, sondern auch durch funktionelle Veränderungen der Strukturen gekennzeichnet ist. Besonders charakteristisch ist die Abnahme der Adaptationsfähigkeit, das heißt der Anpassung an neue Umweltfaktoren. Max Bürger sagt: «Dem bei der Konzeption gestalteten Lebenskeim wird gewissermaßen der Todeskeim eingeprägt. Dieser ist der Alternsfaktor, der während

des Lebensablaufes zu ständigen chemischen, morphologischen und funktionellen Wandlungen unseres Körpers führt.»

Auch anorganische Stoffe altern: Das Uran altert in Jahrtausenden; das Endglied seines Alterns ist das Blei. Die Bleimenge in einem Mineral ist ein Maß für sein geologisches Alter. In der Technik spricht man von Alterung des Zementes, von Maschinenteilen, Eisenträgern. Die physikalische Chemie weiß von einer Veränderung der Dispersionsgrade kolloidaler Gemische, von einer Trennung der Suspensionsflüssigkeit von den suspendierten Teilchen zu berichten. Danach besteht grundsätzlich die Tendenz, im Anorganischen und im Organischen, in der unbelebten wie in der belebten Natur, jede Ordnung aufzulösen und alle Energie zu zerstreuen. Alle stofflichen Strukturen, alles Leben auf der Erde und wir selbst unterliegen diesen Vorgängen. Die Kenntnis ihrer materiellen Grundlagen ist für das Verständnis der Alterung unseres Körpers von entscheidender Bedeutung.

Bürger bezeichnet die während des Lebensablaufes sich ständig abspielenden chemischen, morphologischen und funktionellen Wandlungen unseres Körpers als Biomorphosis und erblickt in ihnen einen schicksalsmäßig ablaufenden irreversiblen Vorgang. Die Biomorphosis umschreibt die alte Lehre des Heraklit, das «πάντα », das heißt die dauernden inneren Wandlungen, die unser Körper während seines irdischen Daseins durchmacht. Sie zeigt, daß das menschliche Leben einen zum Tode hin orientierten Ablauf nimmt und das physiologische Ende des Lebens im Leben selbst vorbereitet und bestimmt wird. Goethe schreibt in seinen naturwissenschaftlichen Studien der Natur in einem Fragment; «Wir sind von ihr umgeben und umschlungen —unvermögend, aus ihr herauszutreten, und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen. Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie, was war, kommt nicht wieder —alles ist neu, und doch immer das Alte.»

Unser Körper entsteht aus der befruchteten Eizelle und den aus ihr durch Zellteilungen hervorgehenden Zellen, die unsere

Gewebe und Organe aufbauen. Sind die Prozesse, die zum Altern des Körpers führen, an spezifische Alternsvorgänge in seinen Zellen gebunden? Es hat nicht an Experimenten zur Abklärung dieser Frage gefehlt. Für ihre Beantwortung sind zunächst Beobachtungen an einzelligen Lebewesen aufschlußreich.

Einzellige Lebewesen (Protozoen), etwa Pantoffeltierchen, entziehen sich dem Tode durch rechtzeitige und immer wiederholte Teilung. Aus einem werden zwei neue Pantoffeltierchen und so fort. Die Zellteilungen gehen unbegrenzt weiter, vorausgesetzt, daß das Kulturmedium optimal zusammengesetzt ist. Nach einer Reihe von Teilungen findet aber eine Reorganisation des Kernapparates (Endomixis) statt. Die kardinäle Verjüngung erfolgt durch Vereinigung zweier Individuen und einen Austausch von Stoffen zwischen den beiden Kernen. Die dafür notwendige Kernverschmelzung oder -kunjugation (Amphimixis) ist die älteste Form einer Sexualität. Sie sichert den Partnern neue Lebensdauer. Der Stoffaustausch zwischen den beiden Kernen ist also ein Mittel gegen Altern und Tod, genau gegen Tod durch Altern. Werden Endomixis und Amphimixis experimentell verzögert oder verunmöglicht, treten Alternserscheinungen auch bei Einzellern auf, wie Riesenformen, Degenerationsformen und Tod. A. Weissmann hat den einzelligen Lebewesen das seltene Vermögen der leiblichen Unsterblichkeit zugesprochen, denn, abgesehen von äußeren Schädigungen, welche diese Einzeller vernichten können, gibt es bei ihnen keinen Tod. Die Mutterzelle lebt in den Tochterzellen fort; es fehlt die Leiche, der eigentliche Zeuge des eingetretenen Todes.

Übertragen wir diese Beobachtungen auf die vielzelligen und höheren Lebewesen, dann ergibt sieh folgendes Bild: Auch diese stammen aus einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle. Die Teilungen der Protozoen entsprechen den sich an die Befruchtung anschließenden Teilungen des Eies. Die dabei entstehenden Zellen trennen sich aber nicht, sondern legen sich epithelartig aneinander und liefern das Zellmaterial für die Bildung der Keimblätter. Aus den Keimblättern entstehen die embryonalen Organe, die im Verlaufe der Entwicklung durch Zellteilungen,

Stoffeinlagerung und Assimilation wachsen. Zellteilung ist das Mittel des Wachstums, die Teilungsgeschwindigkeit ein Maß für das Tempo des Wachstums der Gewebe. Sie ist von Organ zu Organ verschieden. Unter Entwicklung eines Organes verstehen wir nicht nur Wachstum, sondern auch feinere Ausdifferenzierung seiner Zellen. Differenzierung bedeutet gleichzeitig Spezialisierung. In bezug auf ihre Differenzierung verhalten sich nicht alle Gewebe gleich. Es gibt Gewebe mit wenig differenzierten Zellen. Zu diesen gehören das Bindegewebe und die Epithelien der Schleimhäute. Ihre Zellen sind während des ganzen Lebens unbegrenzt teilungsfähig. Jede Zellteilung bedeutet Verjüngung, und es ist nicht verwunderlich, daß solche Zellen in Gewebekulturen über Jahrzehnte am Leben bleiben und sich intensiv teilen, vorausgesetzt, daß das Milieu regelmäßig erneuert wird. Kommt es zur Anhäufung von Schlacken, dann treten Schädigungen der Zellen auf, die zum Absterben der Kultur führen.

Ganz anders steht es mit den Zellen von sogenannten Dauergeweben; darin spielen sich Zellteilungen nur bis zur Geburt oder noch einige Zeit darüber hinaus ab, dann aber fehlen sie vollkommen, und die Zellen verharren bis zum Tode ohne Teilung. Man spricht von terminal ausdifferenzierten Zellen. Zu ihnen gehören Leber- und Nierenzellen. Gewiß können wir auch Gewebekulturen aus Nieren- oder Leberstückchen herstellen. Die Zellen werden eine Zeitlang überleben, dann aber von den mitexplantierten Bindegewebszellen überwuchert werden.

Zellen des Nervengewebes, Herz- und Skeletmuskelfasern sind durch höchste Differenzierung und Spezialisierung ihrer Funktion gekennzeichnet. Sie verlieren schon während der Fetalentwicklung, also vor der Geburt, endgültig ihr Teilungsvermögen. Ihr Wachstum wird nicht mehr durch Mitosen unterbrochen. Die an die letzte Zellteilung anschließende Phase dauert so lange wie das Leben des Organismus. In dieser letzten, permanenten Phase differenzieren sich die funktionellen, zellplasmatischen Strukturen und Fermentmuster aus. Diese Zellen dienen als Skeletmuskelfasern der Bewegung, als Herzmuskelfasern der Herzkontraktion, als Nervenzellen der Aufnahme, Fortleitung und Umformung

von Erregungen. Das mit einer Vermehrung der funktionellen Strukturen verbundene Wachstum wird als Funktions- und Leistungswachstum bezeichnet.

Aus diesen Ergebnissen schließen wir, daß zunehmende Differenzierung und Spezialisierung einer Zelle mit dem Verlust des Wachstums erkauft werden. Der bekannte Berliner Pathologe Robert Rössle, der sich um die Erforschung von Wachstum und Alterung große Verdienste erworben hat, sagt: «Was wir an Wachstum verlieren, aber an Differenzierung gewinnen, nennen wir Reifung. Die Reifung aber bezahlen wir mit dem Tode. Das Zahlungsmittel ist das Altern.»

Das Altern ist also beim vielzelligen Lebewesen, das als Organismus ein Ganzes bildet, unvermeidlich. Sein Verlauf ist beim Menschen individuell sehr verschieden. Darüber belehrt uns die tägliche Beobachtung. Ganz besonders bewußt wird uns diese Verschiedenheit des Altgewordenseins, wenn wir uns zum Beispiel bei einer Klassenzusammenkunft von 60jährigen die Teilnehmer genauer ansehen. Der eine weist noch jugendliche Züge auf, während der andere bereits alle Merkmale hat, die wir einem Greis zuschreiben.

Trotz eifrigen Studiums ist es bisher nicht gelungen, einen gemeinsamen Gesichtspunkt für die Erklärung des Wesens des Alterns zu finden. Sicher spielen mannigfache Faktoren eine Rolle. Zu diesen gehört an erster Stelle die Erbmasse und die bei der Vereinigung der beiden Keimzellen in der Befruchtung festgelegte Konstitution, das heißt die Gesamtheit der morphologischen und funktionellen Eigenschaften des Individuums. Durch die Erbmasse wird das Individuum in den Zusammenhang mit früheren Generationen und in den Ablauf des gesamten biologischen Geschehens gestellt. Vererbt werden nicht bestimmte, von Anfang an festgelegte Eigenschaften, sondern Anlagen und Möglichkeiten, auf bestimmte Reize in bestimmten Grenzen zu reagieren. Darüber gibt uns die Zwillingsforschung Auskunft.

Der frühere Zürcher Ophthalmologe, Professor Alfred Vogt, hat bei 34 Paaren eineiiger Zwillinge im Alter von 55 bis 81 Jahren das Auftreten der Alternserscheinungen am Auge studiert und

eine von Beruf und Lebensweise so gut wie unabhängige Gleichartigkeit im Altern festgestellt. Bei einzelnen Paaren trat in einem bestimmten Lebensjahr ein Star auf, und zwar handelte es sich um einen Altersstar des gleichen Typus. War einer der Zwillinge besonderen schädlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen, wie zum Beispiel ein Glasbläser, dann trat bei ihm ein gleicher Star, aber um einige Jahre früher auf als bei seinem Zwillingsbruder. Daraus schließen wir, daß das Altern und seine Manifestationen in erster Linie von der Erbmasse und erst in zweiter Linie von Umweltfaktoren abhängen. Alle höheren Organismen entwickeln sich aus dem Keimplasma auf Grund eines genetisch festgelegten Programms. Zu diesem gehören die Stadien des Wachstums, der Differenzierung, der Reife, der Fortpflanzung und des Alterns.

Das Altern offenbart sich beim Menschen in morphologischen, physiologischen und psychischen Veränderungen, die auch dem Laien bewußt werden. Außer Wandlungen seiner äußeren Gestalt — Abnahme der Körperlänge, Zunahme der Breite, Verschiebung des Fettpolsters, Veränderungen der Haut, wie Falten- und Runzelbildung und stärkere Pigmentierung, Alternsveränderungen der Augen, der Hände und des Mundes — findet man Änderungen der Feinstruktur und der stofflichen Zusammensetzung seiner Organe. Es handelt sich um irreversible Prozesse, die zuerst langsam, dann fortschreitend rascher verlaufen und zu charakteristischen morphologischen und histologischen Bildern führen. Dies wollen wir an einigen Beispielen erläutern.

Organe, wie die Augenlinsen, gewisse Wandabschnitte der Blutgefäße, die Herzklappen, die Zwischenwirbelscheiben und die Gelenkknorpel besitzen keine eigenen Blutgefäße. Ernährung, aber auch Abtransport von Schlacken ist nur auf dem Diffusionsweg möglich. Alle diese Gewebe zeigen mit fortschreitendem Alter einen Verdichtungsprozeß, der durch langsamen Wasserverlust gekennzeichnet ist. Es kommt auch zu Einlagerungen von Schlacken, unter denen Cholesterin als organische und Kalzium als anorganische Substanz vorkommen.

Die infolge des Wasserverlustes zunehmende Herabsetzung der Elastizität der Linse und die daraus resultierende Alterssichtigkeit

ist jedermann bekannt. Altersbedingte Umbauvorgänge der Wand der Körperschlagader (Aorta) fehlen bei keinem Menschen: Die Aorta eines menschlichen Fetus besitzt eine sehr gleichmäßig gebaute, breite Wand, in welche genau orientierte elastische Membranen eingebaut sind. Bereits im 15. Lebensjahr lassen sich wahrscheinlich unter dem Einfluß der funktionellen Belastung entstandene Veränderungen erkennen: Die Textur ist dichter geworden, die einzelnen elastischen Membranen haben sich verbreitert. Beim 50jährigen findet man deutliche rückschrittliche Prozesse; die Fasern sind auseinandergewichen, dünner geworden und in Auflösung. Der Schwerpunkt der Alternsveränderungen liegt also bei den elastischen Membranen, die aufsplittern und zerfallen. Das zwischen den elastischen Membranen gelegene Gewebe verdichtet sich. So kommt es zwischen dem 20. und 70. Lebensjahr zu einem Dickenzuwachs der mittleren Schicht der Aortenwand von rund 50%. Einfache, nicht durch Sklerose komplizierte Alternsveränderungen haben keine Tendenz zur Verengerung, eher zur Erweiterung der Gefäßlichtung (Doerr). Demgegenüber ist das Geschehen der arteriosklerotischen, das heißt krankhaften Veränderung der Arterien grundsätzlich etwas anderes. Aber Alternsveränderungen und Arteriosklerose können sich im hohen Alter verbinden.

Auch die Haargefäße unterliegen Alternsveränderungen, die vor allem ihre Durchlässigkeit beeinträchtigen. Die Kapillaren besitzen in ihrer Wand ein Grundhäutchen, durch welches hindurch alle Gewebe ernährt werden müssen. Im Verlaufe des Lebens wird der Stoffaustausch wegen Veränderungen dieses Filters zunehmend erschwert und verzögert, so daß schließlich die Ernährung der Gewebe nicht mehr ausreicht. Die Folge ist ein fortschreitender Gewebeschwund, die sogenannte Altersatrophie. Die Durchlässigkeit der Gefäße der Endstrombahn ist bis ins hohe Alter beim weiblichen Geschlecht besser als beim männlichen.

Die Zwischenwirbelscheiben verbinden als druck-, zug-, biegungs- und torsionselastische Scheiben benachbarte Wirbelkörper und bestehen aus dem lamellär gebauten Faserring und dem

Gallertkern. Dem Gallertkern kommt allergrößte funktionelle Bedeutung zu. Er ist strukturarm und wasserreich, besitzt einen bestimmten Quellungsdruck und wirkt wie ein Öllager in der Technik mit einer allseitig sich ausbreitenden Sprengkraft auf seine Umgebung ein. Das hat zur Folge, daß die Wirbelsäule auch in Ruhe unter Spannung steht; der Gallertkern wirkt wie eine Sprungfeder, die bestrebt ist, benachbarte Wirbel auseinanderzupressen. Der Lamellenring wird dadurch angespannt und wirkt seinerseits wie ein straffes Band jeder Bewegung entgegen; es verhindert vor allem auch horizontale Verschiebungen zwischen den einzelnen Wirbeln.

Auf dieser Konstruktion der Zwischenwirbelscheiben beruht die Funktion der Wirbelsäule als Stütz- und Bewegungsorgan und als Schutzorgan für die im Wirbelkanal eingeschlossenen nervösen Organe.

Beim Fetus und beim Neugeborenen besitzt der Faserring zahlreiche Blutgefäße. Diese werden aber bald nach der Geburt zurückgebildet, so daß den Zwischenwirbelscheiben vom 4. Lebensjahr an nur noch indirekt durch Diffusion Flüssigkeit zugeführt wird. Diese Rückbildung der Blutgefäße leitet die Alternsveränderung der Zwischenwirbelscheiben ein. Im Verlaufe der Jahre nimmt der Wassergehalt und damit auch der Quellungsdruck der Gallertkerne zunehmend ab. Diese verlieren ihren schleimigen Charakter, schrumpfen und lösen sich vom anliegenden Gewebe ab. Die Metamorphose der Gallertkerne bewirkt eine Herabsetzung der Elastizität der Wirbelsäule, die infolge des Zusammensinkens der Zwischenwirbelscheiben kürzer wird und ihre typischen Krümmungen verliert.

Die geschilderten Prozesse in den Zwischenwirbelscheiben sind völlig unabhängig von der Funktion. Lange Zeit kann diese ungestört bleiben; dann können sich aber an den am meisten belasteten Stellen, wie im Bereiche des Lenden-Kreuzbein-Überganges, Störungen einstellen, die mit Schmerzen verbunden sind und den Menschen darauf aufmerksam machen, daß die Stütz- und Bewegungsfunktion seiner Wirbelsäule in Frage gestellt ist. Viele, darunter auch auffällig viele junge Menschen, leiden unter

den Folgen der Gefügestörung dieses Organs, das eigentlich für den Vierfüßler, nicht für den aufrechten Gang des Menschen geschaffen wurde.

Alternsveränderungen des Gehirns. —Das Gehirn gehört zu den Organen, deren Zellen bereits vor oder kurze Zeit nach der Geburt ihr Teilungsvermögen verlieren und Alternsprozessen unterworfen sind. Dies zeigt schon das Verhalten des Hirngewichtes in den verschiedenen Altersstufen: Das mittlere Hirngewicht beträgt beim reifen Neugeborenen männlichen Geschlechts 400 g, beim Neugeborenen weiblichen Geschlechts 380 g. Das Gewicht verdoppelt sich im Laufe der ersten dreiviertel Jahre und verdreifacht sich bis zum 4. bis 6. Lebensjahr. Das Gehirn erreicht wahrscheinlich sein höchstes Gewicht um das 18. Lebensjahr. Das Hirngewicht des Mannes von 15 bis 49 Jahren beträgt durchschnittlich 1380 g, dasjenige der Frau 1250 g. Schon frühzeitig, sicher etwa vom 60. Lebensjahr an, fällt es deutlich ab. Es betrug bei einem 102jährigen, geistig normalen Mann noch 1150 g, bei einer fast 102jährigen Frau 1025 g.

Schon makroskopisch fallen an Gehirnen alter Leute Besonderheiten auf, wie schmale Windungen und weite, unter Umständen klaffende, tief reichende Furchen an beiden Großhirnhemisphären. Die Hirnhöhlen sind erweitert, die weichen Hirnhäute verdichtet und undurchsichtig. In den Zellen von Gehirn und Rückenmark, hier besonders im Zelleib der großen, die Motorik unseres Körpers steuernden, sogenannten Motoneurone, findet man zahlreiche braune Pigmentkörnchen, das sogenannte Lipofuscin, das sich im Verlaufe des Alterns auch in den Herzmuskelzellen anreichert und als Abnützungspigment bezeichnet wird. Daneben sind zahlreiche Zellen in der Groß- und Kleinhirnrinde im Abbau begriffen.

Die ständige Abnahme der Zahl der Nervenzellen wird zuerst nicht bemerkt, da das Gehirn mit einem außerordentlichen Überfluß an Zellen versehen ist. Aber im Verlaufe der Jahre ändert sich die Reaktionsgeschwindigkeit. Je komplizierter irgendeine unbewußte oder bewußte Reaktion ist, um so auffallender wird die Verlängerung der Reaktionszeit.

Allmählich stellen sich auch Störungen der Adaptation ein. Der alte Mensch kann sich nur noch schwer oder überhaupt nicht mehr an Veränderungen seiner Umgebung gewöhnen. Infolge des Zellverlustes in den Sinnesorganen fließen ihm auch immer spärlicher Informationen von der Umwelt zu. Das biologische Verständnis der Schwierigkeiten des alternden Menschen sollte unser soziales Verhalten ihm gegenüber beeinflussen.

Verzár, der Gründer und Leiter des Institutes für experimentelle Alternsforschung in Basel, führt die Alternsveränderungen und das schließliche Absterben der Nervenzellen auf die Alterung der Desoxyribonukleinsäure, DNS, zurück. DNS ist ein Riesenmolekül, in welchem der Code, das heißt die Erinnerungsbilder der Zellfunktionen fixiert sind. Von hier aus gehen alle Anregungen zur Neubildung von charakteristischem Zelleiweiß und Zellfermenten aus.

Wenn sich die Zelle teilt, wird die DNS erneuert. In Zellen, die ihr Teilungsvermögen verloren haben —und dies gilt für Nervenzellen —, wird sie nicht erneuert und altert. Experimentell wurde gezeigt, daß aus sich nicht mehr teilenden Zellen hergestellte DNS von alten Tieren erst bei höherer Temperatur denaturiert wird als die DNS von jungen Tieren, das heißt, im alten Tier ist die DNS stabiler geworden. Das alte Molekül wird dadurch ungeeignet, die Eiweißbildung in Gang zu setzen. In diesen alternden Zellen fehlt aber auch eine Neubildung von DNS, während ihr Verbrauch und Abbau so lange weitergehen, bis die Zellen schließlich absterben und zerfallen.

So sind die Zellen des Zentralnervensystems und der Sinnesorgane, die Kerne der Skeletmuskelfasern und der noch unreifen Eizellen im Eierstock, die unbefruchtet bleiben, der Abnutzung und dem schließlichen Zerfall ebenfalls preisgegeben.

Diese Beispiele könnten beliebig vermehrt werden. Ich muß aber hier abbrechen und will nur nochmals betonen, daß das Altern ein biologischer Prozeß ist, dem sich keiner von uns entziehen kann. In jeder Lebensperiode sind Aufbau und Abbau am Werk, sie halten sich beim Jugendlichen die Waage, bis im Alter zunehmender Abbau und Rückbildung das Gleichgewicht stören

und zur Atrophie der alternden Organe führen. Altern die lebenswichtigen Organe gleichzeitig und gleich stark, liegt also ein harmonisches Altern vor, dann könnte das Endergebnis das «Erlöschen des Lebenslichtes» sein, von dem Schopenhauer sagte: «Diese Menschen sterben gar nicht, sondern hören nur auf zu leben» (Doerr). Sind die Veränderungen in den einzelnen Organen verschieden stark ausgeprägt, dann sprechen wir von disharmonischem Altern. Sind nur funktionell weniger wichtige Organe davon betroffen, wie die Haut, die Gelenkknorpel oder die Zwischenwirbelscheiben, wird die Vitalität nicht tangiert. Kommt es aber zur Altersatrophie lebenswichtiger Organe, wie des Herzmuskels oder des Gehirns, dann kann daraus eine echte Krankheit resultieren, die das Leben direkt bedroht.

Dank der außerordentlichen Fortschritte der Medizin sind die Lebensaussichten im Verlaufe der letzten 100 Jahre immer besser geworden. Die Zunahme der Lebensdauer im 19. Jahrhundert ist fast nur den jüngeren Altersgruppen zugute gekommen und ist vor allem auf den Rückgang der Kindersterblichkeit zurückzuführen. Betrug die mittlere Lebenserwartung im Jahre 1900 bei Knaben 47, bei Mädchen 50 Jahre, so beträgt sie heute für einen Knaben 70, für ein Mädchen 74 Jahre. Daraus folgt, daß eine immer größere Zahl von Menschen in die hohen, ja die höchsten Jahrgänge kommt und das Altwerden und das Alter erlebt. Man spricht von einer Überalterung der Bevölkerung. Diese stellte sich nicht plötzlich, sondern allmählich ein. Überraschend wirkte sie sich erst aus, als sie einen gewissen Schwellenwert überschritt. Das Gleichgewicht in der Altersverteilung der Bevölkerung geriet ins Wanken und wird die kommenden Generationen vor viele und schwere Probleme stellen.

Der Amerikaner Curtis bemerkt, daß der Durchschnitts-Amerikaner heute nahezu doppelt so lange lebe wie vor 100 Jahren und daß seine Lebenserwartung immer noch weiter zunehme. Die maximale Lebensdauer sei aber auch in neuester Zeit gleichgeblieben und habe sich — soweit wir wissen —niemals verändert.

Furcht vor Alter und Tod haben von jeher den Menschen bewegt.

Mimnermos, der elegische Dichter des ionischen Kolophon (um 600 v.Chr.), klagt:

«Unermeßlicher Schweiß rinnt plötzlich über den Leib mir;
Schaudernd fahre ich auf, seh' ich, erfreulich und schön,
Meiner Gefährten blühende Kraft. Ach, währte sie länger!
Aber, ein flüchtiger Traum, schwindet die Jugend dahin,
Die so köstlich ist. Und ungestalt und beschwerlich
Über unserem Haupt hanget das Alter sogleich,
Schmählich und hassenswert. Des Mannes Antlitz entstellt es,
Schädigt der Augen Licht, hüllt ihm in Trübe den Geist 1. »

Ist es denn ein unerbittliches Gesetz, daß die Lebenslinie nach Erreichen des Lebenszenits sich unaufhaltsam nach abwärts neigt? Der Wunsch nach Verjüngung und Lebensverlängerung ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit.

Dazu bemerkt Robert Rössle, anknüpfend an das Bibelwort in Matthäus VI/27 («Wer aber von euch kann durch sein Sorgen seiner Leibeslänge eine einzige Ehe hinzusetzen?»): «Denn so wenig es dem Menschen möglich ist, seiner Haupteslänge etwas beizufügen, das heißt sein Wachstum künstlich zu fördern, so wenig kann er die Zahl seiner Lebensjahre, die ihm durch Anlage und Schicksal gegeben sind, künstlich darüber hinaussteigern.»

Das Leben wird uns nicht verkürzt geschenkt, wir selber verkürzen es durch instinktlose Lebensführung und den Mißbrauch der eigenen Gesundheit und des eigenen Lebens. Seneca schreibt: «Non accipimus vitam brevem sed facimus.» Darum gilt es, die in uns wohnende Lebenskraft nicht zu schädigen und eine vorzeitige und beschleunigte Abnutzung unseres Organismus zu vermeiden, um auch das Alter lebenswert zu machen.