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Wissen und Glauben

Wissenschaft bedeutet, die Umwelt mit ihren Erscheinungsformen und Funktionen durch Beobachtungen zu erfassen, ihre Mechanismen zu verstehen und die inneren Gesetzmässigkeiten zu erkennen. Die logischen Zusammenhänge vieler Phänomene lassen sich oft in einer mathematischen Form darstellen oder mit Regeln und Theoremen beschreiben. Dadurch werden komplizierte Vorgänge in Natur und Leben verständlich und in einer Weise vereinfacht, die uns manches voraussagen lässt.

Doch gibt es neben diesem festen Boden, der die Wissenschaften trägt, vieles, was wir nicht logisch begreifen können, obwohl wir es gefühlsmässig erleben, und was anscheinend unser wissenschaftliches Weltbild ergänzt. Das emotionale Erleben führt auch in das Reich des Glaubens, in dem keine realen, sondern nur geistige Werte bestehen, welche durch die Psyche erlebt werden. Auf dieser irrealen Basis — nämlich auf ethischen Glaubenssätzen — beruhen auch die Religionen und dogmatischen Weltbewegungen. Sie bestimmen oft unser Verhalten in der uns umgebenden realen Welt. Es gehört dazu das Wunschbild vieler Menschen nach der Existenz eines Gottes, nach einem paradiesischen, friedlichen Leben und Fortbestehen nach dem Tod. Können diese emotionalen, psychischen Erlebnisse, die Glaubenssätze, die Existenz Gottes, die transzendentalen Erscheinungen wissenschaftlich erfasst und bewiesen werden?

Die Erfolge der Wissenschaften haben Sicherheit an Stelle von Ungewissheit in vielen Fragen gebracht. Langsam wird das Gebiet der klaren Erkenntnis erweitert und die Grenze des unklaren Glaubensbereiches zurückgedrängt. Wir können gegenüber unseren Vorgängern oft sagen: «ich weiss» an Stelle von «ich glaube».

Diese Entwicklung ist in der Geschichte der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften und Medizin, deutlich aufgezeichnet. In welcher Weise haben nun zunehmende Erkenntnisse die grossen Wissenschafter der letzten vier Jahrhunderte in ihrem Glauben an einen Gott beeinflusst?

Auch der moderne Naturwissenschafter, der die Wunder der Natur und des Menschen zu verstehen versucht, stellt sich immer wieder die Frage nach der Ordnung und Hierarchie in dieser Welt, den inneren Zusammenhängen zwischen Geist und Materie. Er betrachtet den Gottesbegriff oft als zu einfach, zu eng und sucht mit seinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen nach einem System der begreiflichen Logik oder als Arzt mit seinem Erleben des Menschen nach einer psychischen, emotional erfassbaren Grösse, die unser Weltbild umspannt. Dabei werden dem Naturwissenschafter vor allem zwei Wege offen sein: Entweder die Einbeziehung Gottes in die Welt der messbaren, logisch voraussehbaren Gesetzmässigkeiten— man könnte sagen einem physikalischen, kausalen Weltsystem — oder die Eingliederung in einen unerforschbaren Bereich des Glaubens, in einer ausserkörperlichen Sphäre, die alles durchdringt und beherrscht.

Die Entwicklung der Naturwissenschaften im Verhältnis zu Gott

Schon primitive wie hochzivilisierte Völker haben ihre Gottheiten mit Naturereignissen in Verbindung gebracht: der Sonnengott, der Erzeuger des Regens, des Blitzes und Donners, der Gott der Meere, der Fruchtbarkeit und auch der Liebe; sie sind in allen Erdteilen zu finden. Doch bald erkannten die Menschen, dass sie viele dieser Naturphänomene wie auch ihre eigene Psyche verstehen konnten, und durch die Neugier getrieben entwickelten sich die Anfänge der naturwissenschaftlichen Forschung. Staat und Kirche versuchten, diesen Bestrebungen, sofern sie ihre Machtansprüche und ihre dogmatische Lehre bedrohten, enge Grenzen zu setzen. Die Kosmologie, der Weltraum mit seinen Gestirnen und die Erde im Mittelpunkt wurden zum Gegenstand der ersten grossen Auseinandersetzung.

Johannes Kepler (1571-1630) stand noch weitgehend unter dem Einfluss des mittelalterlichen Weltbildes, das in der Natur ein von Gott erschaffenes Werk erblickte.

«Drei Dinge waren es vor allem, deren Ursachen, warum sie so und nicht anders sind, ich unablässig erforschte, nämlich die Anzahl, Grösse und Bewegungen der Bahnen (der Himmelskörper). Dies zu wagen bestimmte mich jene schöne Harmonie der ruhenden Dinge, nämlich der Sonne, der Fixsterne und des Zwischen raumes mit Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.»

Kepler erkannte in der regelmässigen Ordnung der Welt Gott. Der Mensch hat von

ihm neben seinen Sinnen auch den Geist erhalten, um zu den Ursachen seines Seins und Werdens vorzudringen. Er steht im Mittelpunkt dieser Ordnung.

Es heisst weiter: «Ich glaube, dass die Ursachen für die meisten Dinge in der Welt aus der Liebe Gottes zu den Menschen hergeleitet werden könnten. Sicher wird es niemand bestreiten wollen, dass Gott bei der Ausschmückung der Wohnstätte der Welt immer wieder an ihren zukünftigen Bewohner gedacht hat. Denn Zweck der Welt und jeglichen Geschöpfs ist der Mensch. Darum glaube ich, dass Gott die Erde, die das wahre Ebenbild des Schöpfers tragen und ernähren soll, für wert befunden hat, so mitten unter den Planeten zu kreisen...»

Für Kepler ist die Natur ein Werk Gottes; und es ist deshalb sinnlos, nach ihrem materiellen Wert zu fragen, ohne ihren Schöpfer miteinzubeziehen. Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes, und es ist verständlich, dass er in gewissen Dingen, die den Schmuck der Welt ausmachen, dasselbe wie Gott meint. Die Gläubigkeit Keplers zeigt der ergreifende Schluss seiner «Harmonia mundi»:

«O Du, der Du in uns, durch das Licht der Natur, den Wunsch nach dem Licht Deiner Gnade erweckst, um uns durch sie ins Licht Deines Ruhmes zu versetzen, ich danke Dir, dass Du mich, O Herr und Schöpfer, durch die Betrachtung Deiner Schöpfung, erfreut und zugelassen hast, in ihr die Werke Deiner Hände zu bewundern! Hier nun, habe ich die Arbeit meiner Berufung vollendet mit Hilfe des Verstandes, den Du mir gegeben hast; ich habe den Ruhm Deiner Werke den Menschen gezeigt, welche diese Zeilen lesen, wenigstens in dem beschränkten Masse, mit dem mein Geist etwas von Deiner unbegrenzten Majestät hat fassen können. Ich habe versucht, so richtig zu denken wie nur irgend möglich. Wenn ich, armer Wurm der Erde, nun in Sünde altgeworden, etwas vorgebracht haben sollte, das Deiner unwürdig ist, so bitte ich Dich, mich zu belehren, damit ich es korrigieren kann. Und wenn sogar die Schönheit Deiner so bewundernswerten Werke in mir etliche Verwirrung angerichtet haben sollte, oder wenn ich sogar meine eigene Ehre gesucht haben sollte vor den Menschen in der Ausarbeitung eines Werkes, das Deiner Ehre bestimmt ist, dann, Herr, vergib meine Fehler durch Deine Ehre und in Deiner Barmherzigkeit. Gewähre mir endlich die Gnade, dass dieses Werk Deinem Ruhm und dem Heil der Seelen diene, und dass es nichts Böses ausrichte!»

Wenige Jahrzehnte später verändert sich die Stellung des Menschen zur Natur. Der Forscher interessiert sich für Einzelheiten, löst wie Galileo Galilei (1564-1642) einzelne Vorgänge aus dem Zusammenhang heraus, beschreibt sie mathematisch und versucht, sie damit zu erklären. Galilei kommt in Konflikt mit der Kirche, nachdem er mit seinem Fernrohr die 4 Jupitermonde, die den Planeten umkreisen, entdeckte und die mondähnlichen Phasen der Venus beobachtete. Damit stand nicht mehr die Erde, sondern die Sonne im Zentrum unseres Planetensystems,

wie Kopernikus dies vorausgesagt hatte. Vergeblich bemühte sich Galilei, seine Beobachtungen aus der Kritik der christlichen Tradition herauszulösen und gegenüber der Inquisition zu verteidigen. Für ihn hat Gott Sonne, Mond, Erde, die Sterne, ihre Anlagen und Bewegungen geschaffen. Doch sie passen sich nicht den Meinungen der Menschen oder der Heiligen Schrift an, sondern bestehen unabhängig von ihnen.

Noch später löst Isaac Newton (1643-1727) die Natur nicht nur aus der allumfassenden Gottesbeziehung, sondern auch aus der engen Bindung an den Menschen. Er entdeckt die Gravitation als Ursache des Verhaltens der Körper im Raum, als Kraft, die im Kosmos die Planeten um ihre Sonnen kreisen lässt und alle Bewegungen der Himmelskörper und der Meere (Gezeiten) zu erklären imstande ist. Er betrachtet diese Kraft als eine «geistige Substanz», welche die festen Körper durchdringt, in ihnen enthalten ist und sogar Gefühle erregen kann.

«Durch die Kraft und Tätigkeit dieser geistigen Substanz ziehen sich die Teilchen der Körper wechselseitig in den kleinsten Entfernungen an und haften aneinander, wenn sie sich berühren. Durch sie wirken die elektrischen Körper in den grössten Entfernungen, sowohl um die nächsten Körperchen anzuziehen, als auch sie abzustossen. Mittels dieses geistigen Wesens strömt das Licht aus, wird zurückgeworfen, gebeugt, gebrochen und erwärmt die Körper. Alle Gefühle werden erregt und die Glieder der Tiere nach Belieben bewegt, durch die Vibrationen desselben, welche sich von den äusseren Organen der Sinne, mittels der festen Fäden der Nerven bis zum Gehirn und hierauf von diesem zu den Muskeln fortpflanzen. Diese Dinge lassen sich aber nicht mit wenigen Worten erklären, und man hat noch keine hinreichende Anzahl von Versuchen, um genau die Gesetze bestimmen und beweisen zu können, nach welchen diese allgemeine geistige Substanz wirkt.»

In der neueren Zeit hat wohl Charles Darwin (1809-1882) am meisten dazu beigetragen, die Naturwissenschaft zu «entgöttern». Seine Abstammungslehre der Tiere und spekulativ auch des Menschen —des eigentlichen Ebenbildes oder zum mindesten Gott am nächsten stehenden Wesens —zeigte schlagartig, dass auch die Schöpfung nicht so, wie das die Bibel sagte und die Kirche gläubig vertrat, die impulsive Kreation Gottes in wenigen Tagen sein konnte, sondern eine Evolution über Jahrmillionen sein musste. Es war kein Wunder, dass die Kirchen beider Konfessionen aufs schärfste gegen die neue Lehre Stellung nahmen, war diese doch von Anfang an, gegen Darwins Absichten, mit Freude von allen Gegnern der kirchlichen Lehre aufgegriffen worden. Der Widerstand der Kirchen gegen eine ernst zu nehmende, neue wissenschaftliche Lehre führte auch zu einer rapiden Zunahme der Kirchenflucht der Gebildeten, und die Arbeitermassen betrachteten sie als eine der Grundlagen für die Lehren ihrer Propheten Marx und Lassalle.

So wurde bis in unser Jahrhundert das Weltbild zunehmend entmythisiert. Dabei wurde auch der Mensch — als Krönung der göttlichen Schöpfung — durch die naturwissenschaftliche Medizin, die Anatomie Vesals und Harveys, die Physiologie von Hallers und Dubois Raymonds und anderer, die Biochemie und Biologie der Zelle zunehmend in einer materialistischen Betrachtungsweise gesehen. Den Entdeckungsmöglichkeiten einer hoch technologischen Wissenschaft sind praktisch keine Grenzen mehr gesetzt. Die Materie wird in ihre kleinsten Teile zerlegt, organische Verbindungen werden synthetisiert, Lebewesen in Organe und ihre Bestandteile zerlegt und einzelne Bausteine, wie die Fermente, im Reagenzglas wieder zum Funktionieren gebracht. Man hat das Gefühl, der menschliche Geist, seine Intelligenz und Logik könne alles analysieren und verstehen, ohne einen Gott daran beteiligt zu sehen. Die Erbgesetze werden aufgrund von Beobachtungen und einfachen Versuchen Mendels (1822-1884) auf Interaktionen von Strukturteilen der Zellkerne bezogen und in unserer Zeit molekular abgeklärt und verstanden (Watson und Crick). Sogar die Psyche wird in ihrer ganzen Tiefe — besonders das Unterbewusstsein — von Sigmund Freud (1856-1939) und seiner Schule analysiert. Unsere Gefühle und inneren Erlebnisse werden als einfache Reaktionen eines hoch spezialisierten, aber durchaus erforschbaren und begrenzten Organismus erklärt. Wo ist Gott notwendig, wenn wir annehmen müssen, dass unsere Seele durch eingefahrene Mechanismen gesteuert und unsere Handlungen durch Triebe ausgelöst werden? Wo bleibt der freie Wille, auf den wir doch immer so stolz sind?

So blieb auch am Anfang der stürmischen Entwicklung der Naturwissenschaften in unserem Jahrhundert ein Gefühl des Zweifels oder sogar der Verzweiflung gegenüber einem determinierten Weltbild ohne Raum für vieles, was dem Menschen in seiner persönlichen, inneren Welt gegenwärtig ist und ihn ahnen lässt, dass es eine zweite Wirklichkeit (B. Staehelin) geben muss. Deswegen sind auch alle Diskussionen über die Existenz einer anderen, transzendenten Welt nie verstummt, sondern haben mit zunehmender Erkenntnis über unsere Welt durch die modernen Naturwissenschaften nur zugenommen. Der Mensch kann sich anscheinend nicht allein mit exaktem Wissen begnügen, auch wenn er dadurch immer mehr von seiner Umwelt kennt und auch sich selbst besser versteht. Er sucht nach dem Ursprung seines Bewusstseins, seiner Gedanken und Gefühle, seiner Beziehungen zur Umwelt und den Mitmenschen. Dieses Verständnis kann ihm die exakte Naturwissenschaft und die Medizin nicht bieten, auch nicht das sich rasch entwickelnde Gebiet der Psychologie. Seine Neugier treibt ihn jedoch, immer weiter zu suchen und die Grenzen des beweisbaren und sinnlich Erfassbaren zu überschreiten. Seine aussersinnlichen Wahrnehmungen, Träume, Vorausahnungen, telepathischen Gedankenübertragungen bedrängen ihn, besonders in einer Zeit der zunehmenden Unsicherheit über menschliche Werte. Das betrifft auch die grosse Zahl von Forschern auf den Gebieten der Naturwissenschaft und Medizin, Menschen mit einer aussergewöhnlichen Neugier und einem

Drang, alles noch besser zu verstehen. So musste sich das aktuelle Gebiet der Parapsychologie von einem gesellschaftlichen Spiel mit dunklen Schatten zu einer Wissenschaft entwickeln, die heute mit den besten naturwissenschaftlichen Methoden nach Beweisen für diese spirituellen Phänomene sucht. Wir wollen auf diese Richtung später zurückkommen und uns nochmals den modernen Naturwissenschaften zuwenden.

Von der Kausalität zur statistischen Gesetzmässigkeit

Zuerst hat sich in den letzten Jahrzehnten die Atomphysik von den klassischen Gesetzen von Ursache und Wirkung losgelöst oder sie zumindest für gewisse Bereiche ausser Kraft gesetzt. Es wird auch einfach gesagt, das Prinzip der Kausalität sei mit der modernen Atomlehre nicht vereinbar. Hier muss zuerst festgestellt werden, dass sich der philosophische Begriff causa seit der Scholastik in den Naturwissenschaften, und besonders seit Newton, verändert hat und vor allem auf das materielle Geschehen eingeengt wurde.

«Wenn wir erfahren, dass etwas geschieht, so setzen wir dabei jederzeit voraus, dass etwas vorgehe, woraus es nach einer Regel folgt.» (I. Kant)

In der Erwartung, dass das Geschehen in der Natur eindeutig bestimmt sei, würde die genaue Kenntnis eines Ausschnittes genügen, um die Zukunft vorauszubestimmen. Der zukünftige Zustand des Systems ist determiniert (Laplace).

Nun hat aber die Atomphysik von allem Anfang an nicht in dieses Bild hinein gepasst. Viele Naturvorgänge im Grossen kommen durch unregelmässige Vorgänge im Kleinen zustande, z.B. ein Granitbrocken aus sehr unterschiedlichen Einzelkristallen, eine Regenwolke aus Wassertropfen, Eiskristallen, Wasserdampf usw. Erst das statistische Zusammenwirken vieler kleiner Einzelvorgänge verschafft uns die sinnliche Qualität der Stoffe. So sind die Gesetzmässigkeiten in der Natur auch nur als statistische Gesetzmässigkeiten zu betrachten. Für eine Aussage ist der Grad der Wahrscheinlichkeit so gross, dass er vernünftigerweise an Sicherheit grenzt. Es kann prinzipiell immer Ausnahmen geben, die allerdings sehr unwahrscheinlich, aber trotzdem theoretisch möglich sind. So musste man, besonders nachdem Max Planck (1858-1947) die Quantentheorie schuf, vom Determinismus grundsätzlich abgehen und dafür die statistischen Gesetze der Wahrscheinlichkeit annehmen. Dazu kam durch Werner Heisenberg (1901-1976) — in Abweichung von der früheren Lehre — der Begriff der Unbestimmtheitsrelation in die Physik, nach dem es unmöglich ist, von einem atomaren Teilchen gleichzeitig seinen Ort und seine Geschwindigkeit —oder seine Energie —anzugeben. Das Elektron lässt sich mathematisch als Welle oder kleinste Partikel beschreiben und ist daher nicht mit anschaulichen Begriffen in Raum und Zeit

fassbar. Diese Komplementarität im Wesen der Materie ist heute tief in die Philosophie eingedrungen und kann auch auf das Verhältnis der leblosen zur lebenden Materie angewendet werden. Vielleicht ist sie der Schlüssel zum Verständnis des Zusammenhanges zwischen Körper und Psyche im Menschen. Heisenberg hat aus diesen philosophischen Gedanken auch gespürt, dass wissenschaftliches und religiöses Denken niemals einander widersprechen können und dass die wissenschaftliche Erkenntnis im Einklang mit der religiösen Wahrheit steht.

Albert Einsteins (1879-1955) Relativitätstheorie hat das physikalische Weltbild weiter revolutioniert und mit dem Äquivalenzgesetz auf die Gleichwertigkeit von Masse und Energie hingewiesen. Eine weitere wichtige Folge war die Neufassung des Raum-Zeit-Begriffes, der in kleinen Raum-Zeit-Bereichen von der Grössenordnung der Elementarteilchen vermischt wird. Gewisse Prozesse scheinen sogar zeitlich umgekehrt abzulaufen, als es ihrer kausalen Reihenfolge entsprechen würde. So scheint in den kleinsten Räumen und Zeiten der Begriff der zeitlichen Reihenfolge problematisch zu werden; d.h. populär ausgedrückt, die Zeit kann rückwärts fliessen, oder sie kann im Extremfall auch stillstehen. Diese Feststellungen und philosophischen Folgerungen der Relativitätstheorie haben unser Weltbild vollständig verwandelt und in eine Phase der technisch-politischen, aber auch geistigen Umwandlung gebracht, die uns wieder fragen lässt: Hat Gott darin noch Platz? Gehört er zur modernen Welt der Physiker? Einstein selbst war religiös und hatte einen eigenen Gottesbegriff. Er schreibt:

«Das kosmische Erlebnis der Religion ist das stärkste und edelste Motiv naturwissenschaftlicher Forschung. Das Wissen darum, dass das Unerforschliche wirklich existiert und dass es sich als höchste Wahrheit und strahlende Schönheit offenbart, von denen wir nur eine dumpfe Ahnung haben können —dieses Wissen und die Ahnung wird der Kern aller wahren Religiosität. Meine Religion besteht in der demütigen Anbetung eines unendlichen, geistigen Wesens höherer Natur, das sich selbst in den kleinsten Einzelheiten kundgibt, die wir mit unseren schwachen und unzulänglichen Sinnen wahrzunehmen vermögen. Diese tiefe, gefühlsmässige Überzeugung von der Existenz einer höheren Denkkraft, die sich im unerforschlichen Weltall manifestiert, bildet den Inhalt meiner Gottesvorstellung.»

Sein viel zitierter Ausspruch: «Gott würfelt nicht», zeigt, dass Gott für ihn, trotz der Relevanz der Quantentheorie für die Atomphysik, weit über unseren Thesen und Dogmen steht. Vor dem Tode fürchtete sich Einstein nicht. Er fühlte sich so solidarisch mit allem Lebenden, dass es ihm unwichtig erschien, wo der einzelne anfängt oder aufhört.

«Die Frage nach dem Sinn des Lebens aller Lebewesen zu stellen, heisst religiös sein. Wer sein eigenes Leben und das seiner Mitmenschen als sinnlos empfindet, der ist nicht nur unglücklich, sondern kaum lebensfähig. Der wahre Wert eines

Menschen ist in erster Linie dadurch bestimmt, in welchem Grad und in welchem Sinn er zur Befreiung vom Ich gelangt.»

Ebenso wie in der Physik haben in der Biologie die Wahrscheinlichkeitsgesetze volle Gültigkeit, da auch hier die für uns erkennbaren Lebensäusserungen durch atomare Vorgänge gesteuert sind. So kann bei der Vererbung die Übertragung von Erbmerkmalen, durch statistische Gesetze geregelt, ausnahmsweise zu einer Mutation und damit zu einem veränderten Merkmal oder zu einer neuen Art führen.

Jacques Monod (1910-1976) hat in seinem viel zitierten Buch «Zufall und Notwendigkeit» die philosophische Schlussfolgerung gezogen, dass alles Leben, so auch der Mensch, das Produkt blinder Zufälle — nämlich der Mutation der Erbmasse und der zwingenden Notwendigkeit der Erhaltung dieser Erbmasse — sei. Durch Selektion werden in der Umwelt nur die überlebensfähigen günstigsten Varianten erhalten (vgl. Darwin); alle anderen gehen unter. Daraus folgte für Monod der harte Schluss, dass es keine Vorbestimmung, also keinen Schöpfungsplan gibt; alles ist zufällig, aus einer unendlich grossen Zahl von Möglichkeiten, entstanden, die durch die molekulare Struktur der Erbsubstanz gegeben sind. Der Mensch als «Krone der Schöpfung» existiert nicht, denn es ist für das Universum vollständig gleichgültig, ob es Menschen gibt oder nicht. So werden alle menschlichen Leistungen, alle seine Anstrengungen vergeblich sein, und seine Werke werden untergehen im kosmischen Staub des Weltalls. Die einzigen Ursachen der Menschwerdung und seiner momentanen Anwesenheit sind das zufällige Zusammentreffen einiger physikalisch-chemischer Prozesse und der mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit vollzogenen Mutationsschritte. Alle unsere Hoffnungen und unser Bedürfnis nach einem Lebenssinn, unser Ringen nach Frieden, Geborgenheit, Erlösung wären aus dieser objektiven Sicht heraus für das übergeordnete Weltsystem bedeutungslos, ohne Sinn oder Bestand. Sie wären nur die Folge menschlichen Denkens und Fühlens und ohne Einfluss oder Beziehung zur naturwissenschaftlichen Weltordnung.

Ähnliche Gedanken hat Manfred Eigen vor einigen Jahren zur «Selbstorganisation der Materie und Evolution biologischer Makromoleküle» geäussert:

((Eine detaillierte Analyse der Reproduktionsmechanismen von Nukleinsäuren und Proteinen (den Bausteinen der lebenden Materie) ergab keine Anhaltspunkte für die Annahme irgendwelcher, nur den Lebenserscheinungen eigentümlichen Kräfte oder Wechselwirkungen. Jedes durch Mutation und Selektion erhaltene System ist hinsichtlich seiner individuellen Struktur unbestimmt. Trotzdem ist der resultierende Vorgang der Evolution zwangsläufig. Der Optimierungsvorgang der Evolution ist somit im Prinzip unausweichlich, hinsichtlich der Auswahl der individuellen Route jedoch nicht determiniert. Schliesslich zeigt sich, dass die Entstehung

des Lebens an eine Reihe von Eigenschaften geknüpft ist, die sich sämtlich physikalisch eindeutig begründen lassen. Die Vorbedingungen zur Ausbildung dieser Eigenschaften sind vermutlich schrittweise erfüllt worden, so dass der «Ursprung des Lebens» sich ebensowenig wie die Evolution der Arten als einmalig vollzogener Schöpfungsakt darstellen lässt.»

Der Philosophie des Zufalls von Monod wird die langsame, aber planmässige, schrittweise Evolution entgegen gehalten. Evolution bedeutet grössere Differenziertheit, komplexere Organisation eines Lebewesens, und dies verlangt nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) die Zufuhr von Energie zur «sinnvollen» Erhöhung der Ordnung. Daher nehmen viele Physiker an, dass das Leben und die Höherentwicklung der Arten nicht nur auf rein physikalische Ursachen zurückgeführt werden können. Selbst der Nachweis einer physikalischen Energiezufuhr in der Evolution würde nicht ausreichen, um das Zustandekommen eines derartig hohen Zustandes zu erklären. Günstige wie ungünstige Mutationen treten spontan auf und eine grosse Zahl davon ist zur Entwicklung einer neuen Art erforderlich. Es ist dazu auch Zeit notwendig, und man hat theoretisch berechnet, dass bei diesen kleinen und seltenen Zufällen das Erdalter nicht ausreicht, um das rein zufällige Entstehen von Leben auf der Erde zu erklären. Bedarf es dazu doch einer weiteren ordnenden Kraft oder göttlichen Macht?

Nach Teilhard de Chardin (1881-1955), Jesuit, Geologe und Paläontologe, kommt jeder Materie, sogar anorganischen Stoffen, ein Innenleben oder Bewusstsein zu. Der eine Schöpfungsakt Gottes dauert schon seit Milliarden Jahren und ist immer noch im Gang. Die Entwicklung des Psychischen geht allem Morphologischen voraus. Während die Herkunft des Alls aus dem Nichts am Punkt Alpha unklar ist, liegt die Zukunft der Welt in einer höheren Konzentrierung der geistigen Substanz der Menschheit um einen Punkt Omega.

Walter Heitler, unser theoretischer Physiker, betonte 1976, dass gerade zur Entstehung von Leben aus der Materie die Weiterentwicklung zum Gefühlsleben und der Psyche bei Tier und Mensch, Neuschöpfung notwendig ist. Er schreibt:

((Mindestens viermal in der Geschichte der Welt sind wir gezwungen, von Neuschöpfung und nicht von Entwicklung (= Evolution) zu reden. Die leblose Materie und ihre Gesetze (Physik und Chemie), das vegetative Leben, das tierischmenschliche Innenleben und der menschliche Geist sind verschiedene Seinskategorien, die sich niemals auseinander entwickelt haben können.»

Parapsychologie oder Glaube

An diesem Punkt wird sich jeder Wissenschafter entscheiden müssen, welchen der beiden Wege, die wir anfänglich erwähnt haben, er beschreiten will: Ist für ihn

aus den Erkenntnissen seiner Wissenschaft Gott einfach ein weiterer berechenbarer Faktor einer materialistischen Welt, oder liegt neben den mühsam erworbenen Tatsachen und Resultaten eine nicht erfassbare Zone, in der wir nur von Erfahrungen sprechen können? Was ist Leben, aus welcher Materie besteht unsere Psyche? Wohl wissen wir, dass beide mit dem Körper verbunden sind; aber was ist das Besondere daran, und existieren sie vielleicht auch ohne Materie?

Es ist bemerkenswert, dass in der Geschichte der Naturwissenschaften die materialistische Bewegung immer wieder abgelöst wurde von einer entgegengerichteten Welle des Glaubens, oft auch des Mystischen, und dass der Weg der Erkenntnisse häufig zwischen diesen beiden Polen wechselt. Auch im Forscher selbst kann eine Betrachtungsweise die andere ablösen oder ergänzen, so dass das, was mit dem klaren Verstand nicht begriffen werden kann, mit dem Herzen gefühlt wird.

In diesem Zwischengebiet des Erkennens hat sich in den letzten Jahrzehnten die Parapsychologie in einem unerwarteten Ausmass entwickelt. Schuld daran mag wieder die unbefriedigende Situation in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sein, die heute mit einer hoch entwickelten Technik Unglaubliches leistet, dem Menschen eine ungeheure Macht über die Natur in die Hand gibt, und andererseits gerade seine Psyche so wenig versteht.

Die Parapsychologie versucht, zuerst einmal die Existenz übernatürlicher Phänomene, wie Telepathie, Hellsehen, aussersinnliche Wahrnehmungen, Prophetie, Mediumismus zu zeigen. Dazu muss sie die naturwissenschaftliche Beweisführung mit wiederholbaren Experimenten mit einem messbaren, statistisch gesicherten Resultat und, wenn möglich, einer kausalen Begründung des Resultates durchführen. Sonst kann sie den Vorwurf von der unbewussten Selbsttäuschung bis zum bewussten Schwindel — aus welchen Motiven auch immer—nicht entkräften. Auch hier spielt die Ausschaltung des Zufälligen heute eine Hauptrolle. Dementsprechend werden die Resultate von unglaublich grossen Versuchszahlen, z.B. von Würfelversuchen, die über räumliche Distanzen zu erraten oder vorauszusagen sind — oder Zeichnungen, welche von einer «sendenden» Versuchsperson auf einen medialen Empfänger übertragen werden —statistisch ausgewertet. Es gibt sogar Versuche, bei denen Physiker mit der Quantenmechanik atomare Vorgänge voraussagen wollen und damit in den Mikrobereich der unbekannten Kernkräfte vorstossen. Aber auch hier stehen diesen eifrigen Befürwortern, die mit den besten Absichten ihr ganzes Können zur Etablierung dieser unbekannten Geisteskräfte einsetzen, viele Zweifler gegenüber, welche die Versuchsanlagen und Überlegungen nicht akzeptieren und die Wahrscheinlichkeitsberechnungen, welche über grosse Versuchszahlen schwach signifikant positiv sind, als ungenügend betrachten. Heute interessieren sich nicht allein

Naturwissenschafter, Psychologen, Mediziner und viele Laien für diese Probleme, sondern sie werden in Universitätsinstituten, in militärischen Zentren erforscht, und sogar die Astronauten haben in ihrer Raumkapsel an entsprechenden Versuchen der Gedankenübertragung über kosmische Distanzen teilgenommen.

Eine wichtige Frage bleibt offen: Ist es überhaupt möglich, mit naturwissenschaftlichen Methoden diese Probleme zu bearbeiten und annehmbare Beweise zu finden? Kann die Psyche mit unserem Gehirn, dem Sitz der Psyche, erfasst werden? Und wenn wir sogar die unbekannten Wellen oder psychischen Energieträger nachweisen und ihre Natur kennen würden, wie wäre die regelmässige Voraussage von Ereignissen, Gedanken, Quantenvorgängen zu verstehen? Läuft hier die Zeit auch rückwärts, damit wir unser Kausalitätsbedürfnis befriedigen können?

So bleiben für uns viele unbequeme Fragen nach unbekannten Kräften — übernatürliche, d.h. für uns unverständliche Phänomene —bestehen, wie sie auf einer anderen Stufe schon zu Beginn der Menschheit vorhanden waren. Diesen offenen, unbequemen Fragen können wir nur mit Desinteresse ausweichen, oder an eine uns weit überlegene Kraft glauben, deren Gegenwart wir nur fühlen oder ahnen, aber nicht beweisen können.

Namhafte Theologen, wie Emil Brunner (1889-1966) weisen mit kritischem Geist auf das gleiche Grundproblem hin. Wissenschaft kann sehr wohl neben Glauben bestehen. Brunner sagte 1943 in seiner Rektoratsrede:

«Wissenschaftliche Forschung hat es immer mit der vordergründlichen Wirklichkeit als solcher zu tun; als Forschende bemächtigen wir uns eines Gegenstandes, als Glaubende geben wir uns der Macht hin, die sich unser bemächtigt. Als Forscher wollen wir hinter das Rätsel kommen, das uns dieses oder jenes Stück der Wirklichkeit bietet, als Glaubende beugen wir uns vor der geheimnisvollen Wirklichkeit, deren man nur gewahr wird, wenn man in Ehrfurcht vor ihr still steht. Als Forschende wollen wir uns ein erforschtes Objekt durch Erkenntnis zu eigen machen, als Glaubende werden wir Eigentum dessen, der nie Objekt werden kann, weil er das absolute Subjekt, der schaffende Geist selbst ist. Die Wirklichkeit, die wir erforschen, ist der Inbegriff der Objekte, die wir kurzweg Welt heissen. Gott aber, den wir in ehrfürchtigem Glauben anbeten und den wir darum nicht erforschen können und nicht erforschen sollen, ist nicht Welt, ebensowenig als er Objekt ist.»

Glaubensobjekte sind unbeweisbar und liegen gänzlich ausserhalb der Reichweite wissenschaftlicher Forschung. Dennoch meint Brunner, dass alle grossen Leistungen in der Wissenschaft von gläubigen und nicht von ungläubigen Menschen hervorgebracht worden sind:

«Wo nicht die Ehrfurcht vor einer göttlichen, ewigen Wahrheit den Forschergeist in Bewegung setzt, da wird er Grösstes nie erreichen.»

Schlussfolgerung

In den Naturwissenschaften und der Medizin wird das Gebiet unserer Kenntnisse immer grösser. Die Grenzen werden immer weiter hinausgeschoben, oft in einem uns alle erschreckenden Tempo. Doch schieben wir damit diese graue Zone des Irrealen, Transzendenten vor uns her, vielleicht sogar von uns weg. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir sie mit wissenschaftlicher Hilfe durchdringen oder dass der Anfang eines fundamentalen Verständnisses besteht. Im Gegenteil werden viele Fragen nur komplizierter. Wir müssen deshalb zugeben, dass Gott, in welcher Form wir ihn uns auch immer vorstellen wollen, im naturwissenschaftlichen Sinn nicht zu erforschen ist. Man kann einzig an ihn glauben. Dem um Erkenntnis bemühten Menschen kann vielleicht auch heute noch das Goethewort ein tröstender Gedanke sein:

«Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.»