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WILHELM FABRICIUS HILDANUS LEBEN UND WIRKEN.

REDE ZUR FEIER DES 48 STIFTUNGSTAGES DER UNIVERSITÄT BERN

AM 18. NOVEMBER 1882
GEHALTEN VON DEM DERZEITIGEN RECTOR
PROF. DR. P. MÜLLER.
LEIPZIG,
DRUCK VON J. B. HIRSCHFELD. 1883.

Separatabdruck aus dem "Deutschen Archiv für Geschichte der Medicin und
medicinischen Geographie" VI. Band.

Hochansehnliche Versammlung!

Am 15. dieses Monats waren es 48 Jahre, dass unsere Hochschule in feierlicher Weise eröffnet wurde. Ihre Gründung fiel in eine politisch bedeutsame Zeit.

Die zündenden Ideen von Freiheit und Volksrechte, welche das philosophische Jahrhundert schuf, suchte mit rauher und blutiger Hand die erste französische Revolution in die Wirklichkeit zu übertragen; ihrem gewaltigen Ansturm konnte der morsch gewordene Staatsbau der aristokratischen Republik ebenso wenig wie der der absoluten Monarchie widerstehen. Zwar gelang es, dem durch die Eroberungszüge und die Gewaltherrschaft des ersten Napoleon erschöpften Europa nach dem Sturze des ersten Kaiserreichs das alte Regime wieder aufzuzwingen; aber die Restauration, blind gegen den Geist, die Bedürfnisse und die Forderungen der Zeit, konnte zwar die alten Formen wieder aufrichten, vermochte aber nicht, ihnen jene Festigkeit zu geben, welche sie befähigt hätte, das erneute Aufbäumen des Volksbewusstseins, welches in der Julirevolution seinen Ausdruck fand, zu überdauern. Durch Letztere wurde auch hier das alte Regiment zu Grabe getragen, um einer neuen volksthümlichen Regierung Platz zu machen.

Unter den Reformen, welche die damalige Bewegung hervorrief, nahm die Umgestaltung des höheren Unterrichtswesens nicht die letzte Stelle ein. Die Fassung und Durchführung des Gedankens, die alte mangelhafte Akademie zu erweitern und zum Range einer wirklichen Hochschule zu erheben, zeugt von der tiefen Einsicht, dem edlen Streben und der grossen Opferwilligkeit der leitenden Männer der damaligen Zeit. Mit der Gründung unserer Universität hat die Letztere sich auch für die spätesten Geschlechter ein würdiges Denkmal gesetzt!

Erhebend muss die Feier gewesen sein, mit welcher am 15. Nov. 1834 in der Heiliggeistkirche vor einer illustren Versammlung

unsere Hochschule eröffnet wurde. Die Ansprache des um die Eidgenossenschaft wie den Kanton Bern hochverdienten Schultheissen Neuhaus, die Worte des ersten Rectors Wilhelm Snell, sowie die Festrede des Hochschullehrers Troxler zeugen von der grossen Begeisterung, mit der man ans Werk ging, aber auch von dem Alle erfüllenden Bewusstsein der ebenso hohen als schwierigen Aufgabe, welche man der neuen Schöpfung stellte.

Seitdem ist beinahe ein halbes Jahrhundert verflossen; gute und missliche Zeiten hat unsere Hochschule erlebt; die Gunst des Volkes und seiner Regenten hat sich zeitweise in höherem, zeitweise in geringerem Grade ihr zugewendet; ein zahlreicher, von allen Richtungen der Windrose sich ergänzender, oft rasch in den Personen wechselnder Lehrkörper hat im Verlaufe dieser Zeit an unserer Hochschule gewirkt. Wohl dürfte es jetzt am Platze sein, dass von dieser Stelle aus die Frage beantwortet würde: Hat unsere Universität auch den Anforderungen entsprochen, welche man bei ihrer Gründung an sie gestellt? Hat sie die Hoffnungen erfüllt, welche man auf sie gesetzt?

So verlockend es nun auch wäre, auf diese Fragen einzugehen, so will ich es mir doch versagen, dieses Thema weiter zu besprechen, denn nur noch eine kurze Zeit trennt uns ja von dem Momente, wo wir das 50 jährige Stiftungsfest unserer Alma mater begehen; da wird wohl einem Berufeneren, einem mit der Geschichte der Zeit, des Landes und unserer Hochschule Vertrauteren die Aufgabe zufallen, diese Fragen in ebenso gründlicher als aufrichtiger Weise zu beantworten.

Für heute will ich Sie von der Gegenwart hinweg auf einige Augenblicke zurückführen in die Zeit des alten Bern, wo die Republik im Zenith ihrer Macht und ihres Ruhmes stand: in das Ende des 16. und den Anfang des 17. Jahrhunderts. In dieser Zeit lebte im Gebiete des Berner Freistaates und zuletzt in den Mauern unserer Stadt ein Mann, dessen Namen Sie vergeblich in den politischen Annalen des Landes suchen, der aber als ein Stern erster Grösse um so hellstrahlender in der Geschichte der medicinischen Wissenschaft und des ärztlichen Standes erscheint, es ist dies der Berner Stadtarzt Wilhelm Fabricius Hildanus. Dem Andenken dieses als Mensch, als Arzt und als Gelehrter gleich ausgezeichneten Mannes seien diese Worte geweiht!

Seine Wiege stand nicht am Fusse der Alpen, sondern an den Ufern des Rheins. Er ward geboren im ehemaligen Herzogthum Berg in dem Orte Hilden bei Düsseldorf am 25. Juni 1560. Sein Familiennamen war eigentlich Fabry, jedoch nach der damaligen Sitte der Gelehrten, welche gerne ihren Namen in eine alte Sprache übertrugen oder doch demselben einen lateinischen Anstrich gaben und zur näheren Bezeichnung ihren Heimathsort zusetzten, wandelte er in seinen Schriften seinen Namen in Fabricius Hildanus um. Er stammte aus einer guten, aber wie es scheint, nicht sehr bemittelten Familie; sein Vater war Gerichtsschreiber in Hilden. Derselbe war für die Erziehung seines Sohnes, der schon als Knabe Proben von Intelligenz und Energie ablegte, sehr bedacht, er schickte ihn schon frühe in die höhere Schule nach Köln. Der frühzeitige Tod des Vaters — der Sohn war erst 10 Jahre alt — brachte keine Unterbrechung des Unterrichts, zur Vollendung seiner Studien brachte er es jedoch nicht. Der Bürgerkrieg, der damals in den Niederlanden wüthete und dessen verderbliche Wirkung am ganzen Niederrhein verspürt wurde, sowie das Ableben seines Stiefvaters — seine Mutter hatte sich unterdessen mit einem Peter Kranz wieder verheirathet — nöthigte ihn schon mit seinem 13. Lebensjahre die Schule zu Köln wieder zu verlassen (1573). Wo und wie Fabricius die folgenden Lebensjahre, die gerade so einflussreich auf die geistige Entwicklung des Menschen sind, zubrachte, ist nicht bekannt; nach einer eigenen knappen Angabe war er so ziemlich sich selbst überlassen. Der Umstand aber, dass Fabricius die alten Sprachen beherrschte, überhaupt der nicht gewöhnliche Grad von classischer Bildung, der uns in seinen Werken entgegentritt, spricht entschieden dafür, dass der strebsame Jüngling diese Zeit nicht ganz unbenutzt vorüber gehen liess. Indess nahm ein Freund seiner Familie, der niederländische Dichter Carl Utenhov sich des jungen Fabricius an; und unter dessen Einfluss und Beihülfe wendete er sich in seinem 16. Lebensjahre dem ärztlichen Berufe zu.

Der ärztliche Stand war in damaliger Zeit — besonders in den deutschen Ländern — ganz anders gestaltet als jetzt. Wir kennen jetzt nur Eine Klasse von Aerzten, welche auf gelehrten Schulen vorgebildet, auf Universitäten theoretisch und praktisch dem Studium der Medicin und zwar in ihrem ganzen Umfange

obliegen und dann nach einer staatlich geforderten und geregelten Prüfung die Heilkunde in allen ihren Zweigen betreiben. Anders zu damaliger Zeit. Es gab — abgesehen von der zahllosen Schaar von Quacksalbern aller Art — zwei Klassen von Aerzten: die erste bildeten die eigentlichen gelehrten Aerzte (früher physici, später medici); sie betrieben das Studium der Medicin auf Universitäten — freilich auf eine etwas andere Weise als jetzt, rein theoretisch; einen praktisch-klinischen Unterricht kannte man noch nicht — sie gingen dann mit dem Doctorhut geschmückt in die Praxis. Sie bildeten eine höchst angesehene Zunft, betrieben jedoch meist nur innere Medicin; chirurgische, Fälle wiesen sie in der Regel den gleich zu besprechenden Chirurgen zu oder liessen doch von denselben die wundärztliche Hülfeleistung unter ihrer Aufsicht ausführen. Die zweite Klasse bildeten die eben erwähnten Chirurgen; ihr Bildungsgang war ein ganz anderer, ebenso auch ihre sociale Stellung. Sie waren von Haus aus Barbiere oder Inhaber der damals noch so sehr frequentirten Badestuben (daher der Name Bader). Dabei betrieben sie jedoch noch die Wundarzneikunst, und zwar nicht, wie es jetzt noch geschieht, die niedern chirurgischen Hülfeleistungen, sondern auch die grössesten und schwersten Operationen wurden von denselben ausgeübt. Wer sich diesem Stande widmete, ging gewöhnlich ohne alle sonstige Vorbereitung zu einem Meister des Fachs in die Lehre; er lernte in einer mehrjährigen Dienstzeit — also rein empirisch — dieses Gewerbe, um es dann selbstständig weiter zu betreiben. Dass diese Chirurgen den eigentlichen gelehrten Aerzten gegenüber nicht eine hervorragende Stellung einnahmen, ist selbstverständlich.

Der Stand der Chirurgen hob sich jedoch, als auch intelligente Köpfe mit besserer Schulbildung sich demselben zuwandten, als die Lehrlinge auf Reisen gingen, um sich bei tüchtigen und bekannten Meistern auszubilden, als Letztere durch Selbststudium — die Universitäten waren ihnen meist verschlossen — auch sonstige medicinische Kenntnisse sich aneigneten und besonders auch dem damals in Aufschwung gekommenen Studium der Anatomie oblagen. Und so sehen wir, dass schon ziemlich frühe Wundärzte in Feldzügen und an den Höfen der Fürsten — ich erinnere nur an Ambroise Paré, den berühmten Oberfeldarzt des Königs Franz I. von Frankreich — eine hervorragende Stellung einnahmen

oder sich schriftstellerisch auszeichneten. In den grösseren Städten schlossen sich die Besseren des Standes zusammen, bildeten Zünfte, die bald mit den Corporationen der gelehrten Aerzte in Conflict geriethen, wozu der bekannte lang dauernde Streit der Pariser medicinischen Facultät mit dem Collège de St. Côme eine nicht uninteressante Illustration liefert.

Als aber später auf den Universitäten — am frühesten auf den italienischen — ebenfalls Chirurgie —anfänglich im Anschluss an die Anatomie — gelehrt wurde, und als auch die gelehrten Aerzte immer mehr und mehr die Wundarzneikunst selbst ausübten, so traten die einseitig gebildeten Chirurgen immer mehr in den Hintergrund. Nur dem Umstande, dass bei dem Mangel an eigentlichen Aerzten auf dem platten Lande und in den kleineren Städten als Ersatz der Letzteren die Chirurgen nothwendig waren, ferner die stehenden Heere und die vielen Kriege ein zahlreiches wundärztliches Personal erforderten, so dass man in späterer Zeit sogar zur Errichtung eigener land- und wundärztlicher Schulen schreiten musste; nur diesem Umstande, sage ich, ist es zuzuschreiben, dass dieser Stand unter mannigfachen Abstufungen und Benennungen sich so lange aufrecht erhielt und erst in unserem Jahrhundert durch die starke Vermehrung der wissenschaftlich gebildeten Aerzte zu dem Berufe eines untergeordneten Hülfspersonal zurückging.

Kehren wir nun zu unserm Fabricius zurück!

Derselbe wandte sich nicht der eigentlichen Medicin, sondern der Wundarzneikunst zu: ob aus Neigung oder aus Mangel an Mitteln zum Besuche einer Universität ist nicht zu entscheiden. Mit 16 Jahren ging er zu dem Wundarzte Dumgens in Neuss in die Lehre, wo er 4 Jahre (also bis 1580) verblieb. Von grossem Glück war Fabricius begünstigt, dass ihn nun sein Geschick zu zwei Männern führte, die selbst äusserst tüchtige Wundärzte waren und durch welche er auch mit einer Reihe von trefflichen gelehrten Aerzten bekannt wurde, was auf seinen Entwickelungsgang den günstigsten Einfluss ausübte; es waren dies Cosmus Slot (gewöhnlich Slotanus genannt) in Düsseldorf, ein Schüler Vesal's, Leibwundarzt des Herzogs Wilhelm von Jülich, Cleve und Berg, bei dem er 5 Jahre (bis 1585) verblieb und dann Jean Griffon in Genf, zu dem er sich nach einem kurzen Aufenthalte in Metz

begab, um diesem vielbeschäftigten und von Fabricius selbst für einen der besten Wundärzte erklärten Chirurgen als Gehülfe zu dienen. Während seines 3 jährigen Aufenthaltes in Genf (von 1585-1588) lernte er eine Genferin, Marie Colinetia, kennen, mit der er im Jahre 1587 in den Stand der Ehe trat.

Mit der Theorie und Praxis der Wundarzneikunst wohl ausgerüstet und durch den Umgang mit vielen der bedeutendsten Aerzte und durch Selbststudium auch mit den übrigen Zweigen der Medicin wohl vertraut, verliess der 28 jährige Mann die Schweiz, machte zunächst eine Reise durch Frankreich, um sich dann in seinem Heimathsorte Hilden der ärztlichen Thätigkeit zu widmen. Hier blieb er jedoch nur drei Jahre (1591), um dann nach Köln überzusiedeln. Die Möglichkeit, sich an der dortigen Universität weiter ausbilden zu können, scheint ihn zu diesem Wechsel bestimmt zu haben. In der That sehen wir ihn dort auf dem anatomischen Theater viel beschäftigt und die Vorlesungen des berühmten Professors Manlius mit grossem Eifer verfolgend. Hier erschien seine Erstlingsschrift (De gangraena et sphacelo d. i. vom heissen und kalten Brande), die seinen Namen rasch bekannt machte und so günstig aufgenommen wurde, dass dieselbe nicht weniger als 11 Auflagen erlebte. Trotzdem sich ihm in Köln die günstigsten Aussichten eröffneten, so verliess er nach 5 jährigem Aufenthalte (1596) diese Stadt wieder, um nach einem kurzen Besuche seines Lehrers und Freundes Griffon in Genf, sich in Lausanne niederzulassen, wo ihn die dortigen Aerzte mit offenen Armen aufnahmen und von wo aus er die freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Genfer Collegen von Neuem anknüpfte und noch inniger gestaltete. Obgleich hier seine ärztliche Thätigkeit, seinem bereits ausgedehnten Rufe entsprechend, mit dem besten Erfolge gekrönt war, so hielt er es doch nur 2 Jahre in Lausanne aus; nachdem er ein günstiges Anerbieten zur Uebersiedelung nach Polen ausgeschlagen, wendete er sich wieder dem Norden zu (1598). Was ihn von Lausanne wegtrieb, ist unbekannt; jene Unstetigkeit lässt sich aus seinem Charakter durchaus nicht erklären, wohl aber entspricht sie der Gepflogenheit der berühmten Aerzte und Lehrer der Hochschulen der damaligen Zeit, welche viel häufiger als dies jetzt der Fall ist, ihren Aufenthaltsort wechselten. Nur 2 Jahre prakticirte er wieder in Köln, dann kehrte er wieder im Jahre

1600 nach Lausanne zurück. Sein Aufenthalt währte hier nur sehr kurze Zeit, kaum 2 Jahre; dann siedelte er 1602 nach Payerne über, wohin ihn der Rath dieser Stadt zum Stadtarzt berief. Sein Ruf, durch treffliche ärztliche Leistungen und durch neue schriftstellerische Publicationen wesentlich erhöht, war bereits so bedeutend, dass er nach allen Richtungen hin zu Consultationen und Operationen zugezogen fast stets auf ärztlichen Wanderungen begriffen war, so dass er von den 9 Jahren, in denen er in Payerne wohnte, nur den geringeren Theil der Zeit dort zubrachte. Mit dieser unstäten Thätigkeit war das Amt eines Stadtarztes nicht vereinbar, und so siedelte er 1611 zum dritten Male nach Lausanne über; allein auch diese Stadt sah ihn wenig in ihren Mauern; dagegen treffen wir ihn wieder auf weiteren ärztlichen Reisen; wir begegnen ihm hierbei in den Palästen der Grossen, in der Gesellschaft berühmter Aerzte und im trauten Verkehr mit hervorragenden Gelehrten.

Endlich fand er eine dauernde Heimstätte; im Jahre 1614 wurde er vom Rath der Berner Republik als Stadtarzt nach Bern berufen. Er nahm den Ruf an und wurde im folgenden Jahre zum "Burger und Stadtsessen" (wie das Rathsmanual sagt) aufgenommen und ihm aus besonderem Vertrauen der gnädigen Herrn und der Bürgerschaft, das Burger- und Inzugsgeld verehrt. Am 6. April 1617 wurde Fabricius als "Meister" bei der Schmiedenzunft aufgenommen. Die Stellung eines Stadtarztes, dessen Functionen im Wesentlichen mit dem eines jetzigen staatlichen Medicinalbeamten zusammenfielen, war eine angesehene; es war eine Einrichtung, die wir bereits im Mittelalter in den Städten deutscher Zunge vorfinden; sie wurde ursprünglich nur von gelehrten Aerzten, die man sehr häufig von Auswärts berief, bekleidet; doch finden wir dort, wo mehrere Aerzte angestellt waren, schon frühzeitig einen Stadtwundarzt unter denselben. Hier in Bern war ein Dr. Lentulus, der Sohn eines berühmten Theologen, der College von Fabricius. War vielleicht die Aufgabe eines hiesigen Stadtarztes von vornherein keine sehr umfangreiche, oder war man hier schon zufrieden, einen so berühmten Arzt in seiner Mitte zu wissen, kurz, seine hiesige amtliche Stellung hielt ihn nicht ab, das frühere Wanderleben auch von hier aus fortzusetzen. Erst höheres Alter und Krankheit setzten demselben Schranken. Zwanzig

Jahre lang, bis zu seinem Tode (1634), bekleidete Fabricius diese Stelle.

Wenn wir uns in die damalige Zeit zurückversetzen und deren Culturzustand uns vergegenwärtigen, und dann sein Lebensbild an uns vorüberziehen lassen, so tritt uns Fabricius Hildanus gegenüber seinen ärztlichen Zeitgenossen als eine äusserst imponirende Persönlichkeit entgegen. Man darf wohl sagen, ohne befürchten zu müssen auf Widerspruch zu stossen: er war einer der grössesten Aerzte des 17. Jahrhunderts. Der Ruf dieses Mannes war ein ganz ungewöhnlicher, und diesem Rufe entsprechend war seine ärztliche Laufbahn eine äusserst glänzende und. der Schauplatz seiner ärztlichen Thätigkeit ein weit ausgedehnter. Freilich hat aber auch Fabricius, wie kein Anderer, durch seine trefflichen Eigenschaften das Vertrauen, das man ihm überall entgegenbrachte, im hohen Grade verdient. Sein stark ausgeprägter collegialer Sinn, seine allgemeine medicinische Bildung, seine kritische Beurtheilung der Krankheitsfälle, sein grosses Geschick in allen chirurgischen Hülfeleistungen nahmen die Aerzte für ihn ein, seine Gewissenhaftigkeit, sein liebenswürdiges Wesen und sein humaner Sinn gewannen ihm die Kranken in hohem Grade. So konnte es nicht fehlen, dass er schnell, obgleich er Jedermann für ärztliche Rathschläge zugängig war und blieb, der Arzt der höheren Stände wurde. So finden wir beispielsweise in seinen zahlreichen Krankengeschichten überwiegend adelige Namen; hier in Bern sind die alten Patriciergeschlechter, die ausgestorbenen, wie die noch existirenden, zahlreich vertreten. Viele Kranke, oft aus weiter Ferne, liessen sich an seinem Wohnorte von ihm behandeln; allein seine Hauptthätigkeit bestand — wenigstens in seinen jungen Jahren — in seinen Consultationsreisen, die von den savoyischen Alpen bis zur Nordsee, bis nach Mitteldeutschland und tief nach Burgund hinein sich erstreckten. Diese Reisen waren damals viel anstrengender — grosse Strecken konnten ja nur zu Pferde zurückgelegt werden — und viel zeitraubender als jetzt. Fabricius musste oft die Behandlung der Kranken, zu denen er herbeigerufen wurde, selbst leiten, zahlreiche Patienten stellten sich an solchen Orten ein, um die Rathschläge des berühmten und weit hergeholten Arztes zu vernehmen; gewöhnlich wurde er dann noch zu neuen Consultationen aufgefordert, so dass oft Monate vergingen, bis Fabricius

wieder in seinem Wohnorte eintraf. Wegen der Schwierigkeiten des Verkehrs, die sich durch die Kriegswirren wesentlich steigerten, war damals eine Art von ärztlicher Berathung im Schwunge, die wir jetzt wenig mehr kennen, nämlich die schriftliche. Auf ausführliche Schilderung der Krankheitserscheinungen gaben die berühmten Aerzte brieflich ihr Urtheil über die Natur der Erkrankung ab und ertheilten ihre Weisungen in Bezug auf die Behandlung auf gleichem Wege. Bei dem grossen Rufe, den Fabricius genoss, ist es selbstverständlich, dass von vielen Aerzten und hochgestellten Persönlichkeiten aus weiter Ferne oft seine Meinung und sein Rath eingeholt wurde. Mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit entledigte er sich auch dieser Verpflichtungen: derartigen Consultationen verdanken wir auch einen nicht geringen Theil seiner so interessanten casuistischen Publicationen.

Allein Fabricius war mit seinen eigenen glänzenden ärztlichen Leistungen keineswegs zufrieden; nicht zufrieden mit der hervorragenden Stellung, die er unter seinen Fachgenossen einnahm; den Segen, welcher die wahre Heilkunst in sich birgt, auch der grossen Masse des Volkes zugängig zu machen, das war sein innigster Wunsch. Er sah ein, dass dies nur durch ein besser unterrichtetes ärztliches Personal zu erreichen sei; sein verdienstvolles Streben ging dahin, den heilenden Stand zu heben, denselben von den vielen schlimmen Auswüchsen zu befreien und das Sanitätswesen überhaupt zu verbessern.

Es war ja überhaupt zu damaliger Zeit traurig genug hiermit bestellt! Hatte schon die einseitige mehr theoretische Ausbildung der gelehrten Aerzte auf Universitäten etwas sehr Bedenkliches — Fabricius selbst spricht zwar immer mit grosser Hochachtung von ihnen — so kamen sie wegen ihrer geringen Anzahl für den grösseren Theil der Bevölkerung kaum in Betracht; da sie fast gar keine chirurgische Praxis, zu der damals noch die Geburtshülfe gehörte, ausübten, so war der bei weitem grösseste Theil des Landes und Volkes auf die Hülfeleistungen des wundärztlichen Personals und der zahlreichen Quacksalber angewiesen. In seinen Schriften schildert uns nun Fabricius den hierdurch hervorgerufenen trostlosen Zustand mit so grellen Farben, dass ein Zweifel erlaubt wäre, wenn nicht die Berichte anderer gleichzeitiger

Schriftsteller seine Angaben als wahrheitsgetreu erweisen würden! Unwissende Menschen ohne alle Vorbildung, ohne alle Kenntniss der Beschaffenheit des menschlichen Körpers, die nur einige Zeit in den Buden der Meister zugebracht, führten die schwersten chirurgischen Operationen aus. Mit welcher Gewissenlosigkeit hierbei vorgegangen wurde, ist geradezu staunenswerth! In Fällen, in denen selbst Fabricius von jedem Eingriffe abrieth, wurde von dem nächsten besten Wagehals die nutzlose todtbringende Operation ausgeführt! Misserfolge schreckten diese Leute nicht ab: "Es muss erfahren und erlernt sein und sollte es hundert Bauern kosten!" sagte ein solcher Heilkünstler, ein auch für die gute alte Zeit, in der man dem Menschenleben nicht einen so hohen Werth beimass, etwas starker Ausspruch!

Noch toller als die sesshaften trieben es die fahrenden Schnittärzte! Kreuz und quer durchzogen sie das Land, um hauptsächlich auf Jahrmärkten ihre Kunst anzupreisen und unter grossem Aufwand von Marktschreierkünsten auszuüben! Viele führten nur einzelne bestimmte Operationen aus: Es gab Bruchärzte, Steinschneider, Staarstecher, die sich freilich nach vielem Unheil, eine gewisse Routine erwarben. Wenn nun diese Wundärzte noch aus der überstandenen Lehrzeit eine scheinbare Berechtigung für ihr Treiben herleiten konnten, so war dies bei einer grossen Anzahl Anderer, die sich mit dem Heilgewerbe befassten — die sogenannten Empiriker — durchaus nicht der Fall. Auch die unberufensten, ja zweifelhaftesten Existenzen suchten und fanden das Vertrauen der leidenden Menschheit. So berichtet uns Fabricius, dass, wenn er von Lausanne abwesend war, ein Bauer aus der Nachbarschaft in letzterer Stadt auch zu den schwersten chirurgischen Erkrankungen herbeigeholt wurde. Die Quacksalber befassten sich jedoch meistens mit der Behandlung innerer Krankheiten; ohne alle Scheu curirten sie die ihnen gänzlich unbekannten Leiden mit den eingreifendsten Mitteln! Brachen Seuchen ans, so wimmelte es im Lande von solchen Scheinärzten, die als zweite Landplage verheerend unter dem schwergeprüften Volke wütheten! und dieses geschah alles unter den Augen, — ja mit Billigung der obrigkeitlichen Behörden. Als im Jahre 1628 hier in Bern die Pest hauste, übte, trotz des Widerspruchs der Stadtärzte, mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, sogar der Scharfrichter ärztliche Praxis aus.

Nicht besser war es mit der Geburtshilfe bestellt. Unwissende Frauen ohne alle Schulung lagen dem Berufe als Hebammen ob; schwere Geburten zogen sich tagelang hin, ohne dass ärztliche Hülfe beigezogen wurde; erst wenn längst das Kind abgestorben und die Mutter an den Rand des Grabes gebracht war, wurde (zur Extraction der abgestorbenen Frucht) der Wundarzt, sehr häufig auch nur ein "Empiriker", herbeigezogen. Mit welchem Erfolge, das lehren uns die zahlreichen traurigen Beispiele, die wir in Fabricius' Schriften aufgezeichnet finden.

Solche Zustände mussten einen so hochgebildeten, erfahrenen, gewissenhaften und feinfühlenden Arzt im hohen Grade anwidern! Er benutzt deshalb auch jede Gelegenheit, die er sehr häufig geradezu vom Zaune bricht, um seinen Abscheu kund zu geben und sich in den bittersten Ausdrücken zu ergehen. Mit Entrüstung erfüllte es ihn, wenn er sehen musste, wie hier in Bern diesem Treiben gerade von den besseren Ständen auf alle mögliche Weise Vorschub geleistet wurde. Tief kränkte es ihn besonders, dass der Stand der Chirurgie in den deutschen Ländern ein viel niedrigerer war als in Frankreich und sogar als in Italien. Mit Bitterkeit zeigte er von diesem ungeordneten Zustande hinweg auf Frankreich hin, wo schon unter König Heinrich IV. eine gute Medicinalordnung erlassen worden war. Mit dem philosophischen Arzte Johannes Lang beklagt er sich über die Blindheit der Deutschen, welche durch das Gewährenlassen der Pfuscher so viel an Geld und Leuten bereits verloren hätten als nöthig wären, um dadurch die Türken mit Erfolg zu bekriegen. "Ist zu beklagen," so fährt er mit Lang fort: "dass zu dieser Zeit, da alle, sowohl freye als mechanische Künste in Teutschland so hoch sind kommen, als an keinem andern Ort in der ganzen Welt, da es auch bei den Teutschen solch statliche Medicos hat, als man bei den andern Ländern mögte finden können, dass man dennoch solche Leuth und Landesverderber lässt ihres gefallens machen..."

Bei den Klagen blieb es jedoch nicht; unermüdlich mahnt Fabricius die Chirurgen für ihre Ausbildung zu sorgen; immer und immer wird ihnen die Anatomie als Fundament ihres Studiums empfohlen. Er giebt ihnen Anweisungen zur Behandlung der Kranken, so trefflich, dass man sie noch jetzt jedem angehenden Arzte in die Praxis mitgeben könnte.

War er auch noch weit davon entfernt, die Heranbildung von in allen Zweigen der Medicin gleichmässig bewanderten Aerzten anzustreben, obgleich ja seine eigene Persönlichkeit ein Muster hierfür abgab, so suchte er doch durch höhere Anforderung, welche er an das Wissen und den Charakter der angehenden Chirurgen stellte, den Stand, dem er selbst angehörte, zu heben. Sein Eifer ging noch weiter. Er wusste den Markgrafen Georg Friedrich von Baden für seine reformatorischen Ideen zu gewinnen, der selbst wieder bei andern deutschen Fürsten Schritte zur methodischen und rationellen Erziehung von Wundärzten that und zwar, wie es scheint, mit einigem Erfolge. Aber der 30jährige Krieg, der nun hereinbrach, liess diese guten Absichten nicht zur Ausführung kommen. Ebenso wenig directen Erfolg hatten seine Bemühungen in der Schweiz, die doch von dem Krieg verschont blieb. Noch ein ganzes Jahrhundert musste vergehen, bis in den deutschen Ländern allmählich eine nachhaltige Besserung in den geschilderten Zuständen eintrat.

Sein Ruf als Arzt erhallte, wie wir gesehen, weit über die Grenze» der Schweiz hinaus. Seine ärztliche Laufbahn war, wie gesagt, eine glänzende; allein wie ein Meteor wäre er wieder verschwunden und sein Name der Vergessenheit anheimgefallen, wenn er sich nicht durch seine wissenschaftlich-literarischen Leistungen einen Ehrenplatz in der Geschichte der Medicin für alle Zeiten gesichert hätte. Die anstrengende und zeitraubende ärztliche Thätigkeit liess dem emsigen, geistig so regsamen Manne immer noch Zeit, die Früchte seines Studiums und seiner Erfahrung schriftstellerisch zu verarbeiten. Es geschah dies auf Kosten seiner Gesundheit, die sehr der Schonung bedurft hätte; ja, mit der zunehmenden Schwäche des Körpers erhöhte sich die Thätigkeit des Geistes. Die Zahl seiner Veröffentlichungen ist eine ungewöhnliche, der Werth der überwiegenden Mehrzahl derselben bedeutend. Es war aber auch bei ihm die geistige Disposition zu wissenschaftlicher Production so günstig, wie bei wenig Gelehrten aus dem ärztlichen Stande der damaligen Zeit.

Wir haben bereits gehört, dass sich Fabricius trotz Unterbrechung seiner Studien klassische Bildung angeeignet hatte, was damals bei vielen auch der höher stehenden Chirurgen keineswegs der Fall war. Er war aber auch nicht einzig und allein

Arzt, er hatte auch noch Sinn für andere Wissenschaften, die er auch etwas mehr als dilettantenhaft betrieb. So vertiefte er sich in das Studium der Theologie, wie sein brieflicher Verkehr mit Theologen und seine medicinisch-exegetischen Versuche beweisen. Er beschäftigte sich gerne mit Archäologie. So liess er im Waadtland wiederholt Ausgrabungen vornehmen und römische Gräber öffnen. Er besass eine werthvolle archäologische Sammlung, die er durch Kauf und Austausch zu vergrössern suchte. Auf der paläontologischen Abtheilung des hiesigen naturhistorischen Museums befindet sich noch eine schöne Abbildung eines bei Oppenheim im Rhein damals aufgefundenen Mammuthfemur, die Fabricius für die hiesige Stadtbibliothek anfertigen liess. In seinen Mussestunden trieb er gerne Botanik, welche von jeher bis in die neueste Zeit ein Lieblingsfach der Aerzte war. Zu der Vielseitigkeit seines Wissens trug nicht wenig der lebhafte Verkehr mit Gelehrten in allen Zweigen der Wissenschaft bei. Seine Reisen galten nicht nur immer den Kranken, sondern wurden oft nur zum Besuche gelehrter Männer unternommen; oft wieder wurden beide Zwecke mit einander verbunden. Aeusserst lebhaft, ja fast staunenswerth war sein Briefwechsel. Er stand in Verbindung mit vielen seiner zahlreichen Schüler, die für ihn eine unbegrenzte Verehrung an den Tag legten; ferner mit vielen Aerzten, die als gereifte Männer durch längere oder kürzere Zeit in seiner, des Meisters, Nähe weilten; ferner mit einer grossen Anzahl ihm persönlich ganz unbekannter Männer — Wundärzte, Doctoren der Medicin aus aller Herren Länder, die alle in gleicher Weise zu ihm, dem hervorragenden Collegen, hinaufblickten. Professoren der Hochschule, Leibärzte der Fürsten, aber auch andere Gelehrte von berühmten Namen standen im Gedankenaustausch mit dem Stadtarzte von Bern. Wie ausgedehnt diese Correspondenz war, kann man daraus ermessen, dass er, bereits von schwerer Krankheit niedergebeugt, in einem Monate nicht weniger als 62 Briefe — und zwar Briefe von ziemlicher Länge — an seine Freunde schrieb. Die hiesige Stadtbibliothek besitzt von dieser Correspondenz her noch drei sehr dicke Bände, meist unedirte Briefe, die Albrecht von Haller durchlas und für seine Bibliotheca chirurgica excerpirte.

Ausser der Mannigfaltigkeit des Wissens im Allgemeinen fällt uns bei Fabricius die Harmonie in seiner medicinischen Ausbildung

auf. Zu einer Zeit, wo, wie bereits erwähnt, die gelehrten Aerzte die Chirurgie nur oberflächlich kannten, dem Wundarzte aber das Gebiet der inneren Medicin ganz fremd war, erblicken wir in Fabricius einen Mann, der alle Zweige der Heilkunde fast gleichmässig beherrschte, obwohl ihm die Chirurgie sein Haupt- und Lieblingsfach blieb. Dies ist wesentlich seiner klassischen Bildung zu verdanken, die ihn, der er in seiner Jugendzeit keine regelrechten Studien auf einer Hochschule gemacht, der niemals in seinem Leben sich den Doctorgrad erworben, doch befähigte, mehr autodidaktisch in das Studium der gelehrten Medicin einzudringen. Dies that nun Fabricius mit dem ihm eigenen Eifer; so sehen wir ihn, den 30jährigen Mann, nach seiner Niederlassung in Köln als einen der eifrigsten Zuhörer des Professor Manlius in dessen Vorlesungen über Hippokrates. Die alte medicinische Literatur war, mehr als bei vielen gelehrten Aerzten, sein Eigenthum geworden; in seinen Werken wird stets auf die alten Schriftsteller Bezug genommen; er stellte dieselben viel höher, als man für diese Epoche, wo doch die Autorität derselben schon bedeutend in's Wanken gekommen war, erwarten sollte; er kann es sich nicht versagen, sich tadelnd über den grossen Anatomen Vesal auszusprechen, weil dieser sich etwas geringschätzend über dieselben geäussert hatte.

So konnte es auch nicht fehlen, dass er in der internen Medicin grosse Kenntnisse und Erfahrung besass und dass wir in seinen Werken Abhandlungen und interessanten Mittheilungen auch aus diesem Zweige der Heilkunde begegnen. Wir erhalten durch ihn Kunde von einer etwas räthselhaften, gefährlichen Epidemie, welche im Jahre 1617 von schweizerischen Truppen aus Savoyen eingeschleppt wurde und zahlreiche Opfer in der Stadt und der Landschaft Bern forderte. Ferner schildert er uns ausführlich eine Blatternepidemie in Basel, der im Jahre 1618 allein 500 Kinder erlagen und die durch bösartige Folgen bei den Ueberlebenden sich auszeichnete; er berichtet uns von der Pest, die damals die Welt in Schrecken setzte und beschreibt uns zwei Ausbrüche derselben, die erste vom Jahre 1613, welche die Gestade des Genfer Sees verödete und der auch eine Tochter von Fabricius erlag; die zweite vom Jahre 1628, die hier in Bern wüthete und in kurzer Zeit von der damals noch nicht sehr zahlreichen Bevölkerung

4000 Menschen dahinraffte. Als Monographie erschien seine Abhandlung über die Ruhr (De dysenteria etc.), die er in epidemischer Ausbreitung zu beobachten Gelegenheit hatte; seine scharfe Beobachtungsgabe, sein selbstständiges Urtheil wiegen vollständig jene Leichtgläubigkeit auf, welche Fabricius mit seinen Zeitgenossen in Bezug auf die Wirkung von Heilmitteln an den Tag legte und die noch Jahrhunderte lang in der ärztlichen Behandlung sich geltend machte. Dazu kommen noch eine Reihe von Mittheilungen, die er in den gleich zu erwähnenden Observationes niedergelegt hat. Von geringerem Werthe sind einige kleinere hierher gehörige Schriften. Eine Abhandlung über die Erhaltung der Gesundheit, sowie über die Bäder von Leuk und Griesbach, welche er auf Aufforderung des Schultheissen Anton von Graffenried schrieb, sowie die Schrift über Bad Pfeffers, welche er auf Veranlassung vom Dr. Croquerus, Leibarzt des polnischen Herzogs von Zbaras, verfasste.

Von weit grösserem Werthe sind selbstverständlich seine Abhandlungen aus dem Gebiete der Chirurgie. Diese sind von Fabricius in zwei Formen herausgegeben worden: entweder als monographische Bearbeitungen bestimmter Abschnitte der Chirurgie oder in Sammlung interessanter Einzelfälle, seine sogenannten Observationes oder Beobachtungen.

Die hierher gehörigen Monographien sind folgende:

1) De Gangraena et sphacelo oder über den heissen und kalten Brand — seine Erstlingsschrift, die, wie bereits bemerkt, ungewöhnliches Aufsehen erregte. Die Amputationen der Extremitäten werden ausführlich besprochen; diese Operationen im vollen Gegensatze zur bisherigen Uebung zuerst innerhalb des Gesunden ausgeführt zu haben, ist ein Hauptverdienst von Fabricius.

2) De ichore et meliceria acri Celsi sive hydrartho aut hydrope articulorum, eine Abhandlung, welche sich nicht blos, wie der Titel sagt, auf die Gliedwassersucht beschränkt, sondern die Besprechung aller Gelenkkrankheiten und -Verletzungen in sich schliesst.

3) De combustionibus, über die Verbrennungen, worin bereits die verschiedenen Grade scharf auseinander gehalten und besonders auch die Folgezustände, Narben und Contracturen berücksichtigt werden.

4) De vulnere quodam gravissimo ictu sclopeti inflicto und

5) Tractatus sclopetariae curationis, in welchen beiden Abhandlungen er im Anschluss an eine schwere Schussverletzung die Behandlung der Schusswunden bespricht.

6) Epistola de nova rara et admiranda Herniae Uterinae Historia von M. Döring und deren Beantwortung, in welcher der erste in Wittenberg 1610 ausgeführte Kaiserschnitt besprochen wird.

7) De Lithotomia vesicae, über den Steinschnitt, eine seiner letzten Schriften, in der er seine 40jährige Erfahrung in dieser Operation niederlegte.

8) Cista militans, in welcher er im Hinblick auf die äusserst mangelhafte Verpflegung der Verwundeten und Kranken im Kriege auf eine bessere Ausrüstung der Truppen mit Lazarethgegenständen dringt und die nöthigen Weisungen hierzu ertheilt.

Von noch grösserer Bedeutung als diese Einzelschriften sind seine casuistischen Veröffentlichungen, meistens in Form von Briefen an befreundete oder ihn consultirende Aerzte. Fabricius fasste immer hundert derartige Beobachtungen zusammen, und so entstanden seine bekannten Observationum et curationum chirurgicarum centuriae sex. Das erste Hundert dieser Sammlung erschien 1606. Der lebhafte Beifall und das sich steigernde Interesse veranlassten ihn, demselben weitere 4 Centurien folgen zu lassen; das letzte 6. Hundert erschien erst in der Gesammtausgabe nach seinem Tode. Eine Sammlung von hundert Briefen (Epistolarum ad amicos eorundemque ad Authorem Centuria una) gleichen Inhalts wurde gleichzeitig mit der 4. Centurie ausgegeben.

Der Erfolg dieser literarischen Thätigkeit war ein ganz bedeutender. Wenn auch Fabricius sicher durch Wort und That auf seine mit ihm lebenden Fachgenossen einen grossen Einfluss ausübte, wenn auch gewiss seine Lehren durch seine zahlreichen Schüler weithin verbreitet wurden, so waren es doch seine literarischen Werke, durch welche der Chirurgie in deutschen Landen eine neue Bahn gebrochen wurde. Wie gross die Wirkung seiner Schriften auf seine Zeitgenossen war, kann man aus den zahlreichen Ausgaben und Uebersetzungen derselben ersehen; wie sehr aber seine Autorität auch in der späteren Zeit noch fortwirkte, kann man aus dem Schicksal der Gesammtausgabe seiner Veröffentlichungen entnehmen. Obgleich dieselbe wegen der Kriegswirren

erst 12 Jahre nach seinem Tode und dazu noch unvollständig und mangelhaft erschien, so erlebte dieselbe doch noch mehrere Auflagen; ja, eine deutsche Uebersetzung seiner Beobachtungen ward noch im vorigen Jahrhundert, 146 Jahre nach seinem Tode, ausgegeben. In der That begegnen wir während des ganzen 17. Jahrhunderts, ja noch im ersten Drittel des 18. noch nicht einem einzigen deutschen Chirurgen, den man ihm an die Seite stellen könnte. Mag es auch etwas zu weit gehen, ihn den Ambroise Paré der Deutschen zu nennen, so viel ist aber sicher, dass er nicht blos die Chirurgie in Deutschland zu Ehren gebracht, sondern auch als einer der unermüdlichsten Förderer ihrer Entwickelung angesehen werden muss. Worin liegt aber das Verdienst, das sich Fabricius um die Chirurgie erworben?

Mit Recht weist man darauf hin, dass er auf eine unbefangene genaue Beobachtung des Einzelfalles drang; mit Recht rühmt man ihm nach, dass er die operative Technik durch neue Verfahren, Instrumente und Apparate bereicherte, aber sein Hauptverdienst liegt doch ganz wo anders. Fabricius sah mit seinem scharfen Blicke, dass der Chirurgie, ja der gesammten Medicin die nöthige, solide wissenschaftliche Grundlage mangle; er sah ein, dass diese Grundlage in der Anatomie zu suchen sei; sein Bestreben ging nun auch dahin, durch Aufbau auf dieser Basis die Chirurgie aus dem wundärztlichen Gewerbe zu einem wissenschaftlichen Berufe umzugestalten.

Freilich in unsern Tagen ist es selbstverständlich, dass alles ärztliche Wissen und Können nur auf anatomisch-physiologischer Basis beruhe. Anders aber zu damaliger Zeit, wo die gelehrten Aerzte meist nur theoretische Kenntnisse von der Anatomie besassen und die Chirurgen nur äusserst mangelhaft die praktische Zergliederungskunst betrieben. Dagegen war auch schon die Zeit vorüber, wo noch die Anatomie nach den Schriftstellern des Alterthums vorgetragen und die Obductionen nur an Thierleichen vorgenommen wurden. Bereits hatte sich schon durch Männer, wie Vesal, im 16. Jahrhundert auf diesem Gebiete jener Umschwung vollzogen, in dem der alte Autoritätsglaube durch die freie Forschung verdrängt und dadurch eine neue Aera in der Geschichte der Medicin eröffnet wurde. Fabricius war ein eifriger, unermüdlicher Förderer dieser Bestrebungen. Mit scharfem Blicke erkannte

er den Werth der Anatomie für die praktische Medicin und mit den ihm eigenen Eifer und Ausdauer suchte er ihr die gebührende Geltung zu verschaffen. Er beklagte es tief, dass besonders in deutschen Ländern nur die Leichen Hingerichteter zur Obduction erhältlich wären, während doch die Hospitäler genug Forschungsmaterial liefern könnten. Ueberall, wo er sich aufhielt, betrieb er die Anatomie praktisch; noch am Ende des vorigen Jahrhunderts wurde auf der hiesigen Stadtbibliothek ein von ihm hergestelltes Skelett und eine ganze Reihe von anatomischen Präparaten gezeigt, die von seiner Hand herrührten.

Ebenso gross wie sein Eifer im Selbststudium war auch seine Rührigkeit in der Verbreitung und Verallgemeinerung anatomischer Kenntnisse. In Genf sammelte er die Aerzte zu anatomischen Demonstrationen um sich; wo nur irgend die Gelegenheit sich bot, führte er in Gegenwart wissbegieriger Fachgenossen Sectionen aus, wie er ja auch den Werth der pathologischen Anatomie gebührend zu würdigen wusste. Keine Arbeit von ihm ging in die Oeffentlichkeit hinaus, in der er nicht — oft für uns bis zum Ueberdruss — auf den Werth der Anatomie aufmerksam machte.

Nicht genug damit: liess er im Jahre 1624 in deutscher Sprache eine Abhandlung erscheinen mit dem Titel: Anatomiae praestantia et utilitas, das ist: "Kurze Beschreibung der fürtrefflichkeit nutz- und nothwendigkeit der Anatomy oder kunstreicher Zerschneidung und zergliederung menschliches Leibs".

Abgesehen von jener Ueberschwenglichkeit, mit der er, frommen Sinnes, in dem Bau und in den Vorrichtungen des menschlichen Körpers nur den Ausdruck der göttlichen Weisheit erblickt, enthält das Buch viel Treffliches und Bemerkenswerthes. Eindringlich wendet er sich noch einmal mit seinen Ermahnungen an die Chirurgen, aber auch den eigentlichen Aerzten wird das eingehende Studium der Anatomie sehr ans Herz gelegt. Ja, er findet für jede wissenschaftliche Berufsart anatomische Kenntniss von Nutzen: für den Theologen sei sie ebenso gut wie für den Staatsmann oder den Richter.

Selbstverständlich erregten die damals rasch auf einander folgenden Entdeckungen auf diesem Gebiete sein Interesse in hohem Grade. So sehen wir ihn beispielsweise damit beschäftigt, einem Kreise von Aerzten die von Bauhin entdeckte oder wenigstens nach

ihm benannte Klappe demonstriren; so erblicken wir ihn, wie er, im hohen Alter stehend, eine Vivisection ausführte, um einem jungen dänischen Anatomen die eben von Aselli entdeckten Chylusgefässe zu zeigen. Leider war es ihm höchst wahrscheinlich nicht vergönnt, von der grössten physiologischen Errungenschaft, nämlich der Entdeckung des Blutkreislaufes, mit welcher Harvey 1628, also noch zu Lebzeiten des Fabricius, an die Oeffentlichkeit trat, Kunde zu erhalten. Obgleich der grosse Britte sein berühmtes kleines Werk nicht in England, sondern in Frankfurt, dem damaligen Centrum des Buchhandels, mit dem die Gelehrten in steter Verbindung standen, erscheinen liess, erhielt Fabricius keine Kenntniss von demselben; denn noch in dem auf der hiesigen Stadtbibliothek aufbewahrten, für eine zweite Auflage bestimmten druckfertigen Manuscript der erwähnten Schrift über den Nutzen der Anatomie, welches noch Zusätze aus dem Jahre 1632 enthält, circuliren noch in den Arterien statt des Blutes die alten Geister, welche Letztere freilich erst allmählich aus dein Kreislauf verschwanden.

Das Lebensbild des grossen Arztes und Gelehrten würde nicht in solcher Vollendung sich zeigen, wenn nicht Fabricius auch als Mensch in seltener Vollkommenheit uns entgegen treten würde. Er war ein edler hochachtbarer Charakter. Seine ärztlichen Fachgenossen heben sein bescheidenes von aller Ueberhebung freies Wesen hervor. Seine zahlreichen Freunde rühmen seine grosse Liebenswürdigkeit; Alle, die mit ihm verkehrt, sind einig in dem Lobe seiner milden, friedfertigen Sinnesart. Diese Schilderung findet ihre Bestätigung in seinen Werken und Briefen: Ueberall weht uns ein edler, echt humaner Geist entgegen. Wenn es galt, zeigte er jedoch männliche Entschiedenheit, und er, der im Umgang mit Hohen weltmännisches Wesen zeigte und im Kleinen den Umständen sich zu fügen wusste, legte eine Offenheit und eine mit der ganzen Derbheit seiner Zeit gepaarte Geradheit an den Tag, wenn es sich um wichtige Dinge handelte oder seine sittliche Entrüstung herausgefordert wurde. Eitelkeit, jene Klippe, an der oft der Charakter grosser Männer Noth leidet, kannte er nicht: obwohl die Versuchung hierzu oft genug an ihn heran getreten. Denn an schmeichelhafter Anerkennung seiner Verdienste, an Auszeichnung aller Art hat es ihm nicht gefehlt. Beispielsweise

will ich nur einer Consultationsreise nach Oberhessen Erwähnung thun. Als man in Giessen erfuhr, dass er auf dem Schlosse Friedberg in der Wetterau eingetroffen sei, lud ihn Professor Horst ein, nach Giessen zu kommen, da die Studenten den berühmten Mann zu sehen wünschten, und als Fabricius die Einladung ausschlug, wollte Horst mit seinen Zuhörern ihn auf Schloss Friedberg aufsuchen. Die Rückreise war für ihn ein wahrer Triumphzug; in Darmstadt musste er als Gast des Fürsten einige Tage am Hofe verweilen. Und als ihn eine Consultationsreise nach Schwaben führte, wurde er in Augsburg von dem Rathe dieser Stadt, ebenso auch in Ulm, mit grosser Ehrerbietung aufgenommen und bewirthet. Der Markgraf von Baden-Hochberg ernannte ihn zum Leibarzte mit ansehnlichem Gehalte, obgleich Fabricius durch seine Stellung in Bern gebunden, dem Fürsten nur consultativ zu Diensten sein konnte. Aber auch Auszeichnungen von anderen Fürsten blieben nicht aus; zahlreiche Ehrengeschenke gingen ihm zu. So verfügt er in seinem Testamente (von dem noch eine Abschrift in dem hiesigen Staatsarchiv vorhanden ist) über werthvolle Geschenke des Markgrafen von Brandenburg, des Herzogs von Ratzewil, des Churfürsten von der Pfalz und des unglücklichen Winterkönigs Friedrich von Böhmen. Alle diese Ehren, mit denen er überhäuft wurde, all' die vielen Lobsprüche, die man ihm spendete, machten ihn nicht eitel; ein Feind aller Kriechereien, wies er Schmeicheleien mit aller Entschiedenheit zurück.

Sein ganzes Wesen war durchdrungen von tiefer Religiosität. Mit jener kindlichen Gottergebung, welche die damalige Zeit auszeichnete, nahm er alles Gute dankbar, als ein Geschenk des Himmels an; herbe Schicksalsschläge waren nur Läuterungen und Prüfungen der unerforschlichen Vorsehung. Seiner religiösen Stimmung gab er Ausdruck in einer grossen Reihe von Gedichten, die er später unter dem Titel "Spiegel des menschlichen Lebens", "Geistliche Lieder und Gesänge", "Christlicher Schlaftrunk" herausgab: Gedichte ohne grossen poetischen Werth, aber insofern interessant, als er in denselben den Wortreichthum der deutschen Sprache preisend gegen die hereinbrechende Verwelschung derselben ausdrücklich ankämpfte. Dagegen kannte er jedoch jene Unduldsamkeit nicht, mit der sich damals auch die einander nahestehenden Glaubensbekenntnisse bekämpften, was ausdrücklich hervorgehoben

wird. Sein religiöser Sinn gab sich aber nicht blos in Worten kund, er war auch im hohen Grade werkthätig. Seine Unterstützung liess er besonders den vielen Flüchtlingen zukommen, die in dieser Zeit der Glaubensverfolgung in Bern Schutz und Hülfe suchten, und zwar geschah dieses in dem Maasse, dass sein Tod von ihnen als Vorbote grosser Uebel angesehen wurde. Er war ein grosser Freund der Armen; als Arzt war er auch dem Dürftigsten zugängig; und aus seinem, wie es scheint, nicht unbeträchtlichen, durch seine ärztliche Thätigkeit erworbenen Vermögen flossen den Armen reiche Spenden zu.

Aber auch noch in anderer Weise zeigte sich sein humaner Sinn. Wir sind nur zu sehr gewöhnt, alle humanitären Bestrebungen, welche die Reste der Barbarei des Mittelalters, welche auch die Reformation nicht beseitigen konnte, ja nicht wollte, zu tilgen suchten, in das vorige Jahrhundert, in das der Aufklärung zu verlegen. Und doch trifft man bereits in einer viel früheren Zeit erleuchtete Männer, die als Vorkämpfer des Lichts und der Humanität angesehen werden müssen. Wie ein Arzt an dem Hofe des Herzogs von Jülich, Johann Wier, mit dem Fabricius bekannt und befreundet war, schon damals den Hexenglauben bekämpfte und — es ist geradezu staunenswerth — die angeblich Besessenen als Geisteskranke, ja geradezu als Melancholiker erklärte, und dies zu einer Zeit, wo die Hexenverbrennungen noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht hatten, so eiferte auch Fabricius gegen die Schädlichkeit der Tortur. Mag auch Männern einer späteren Zeit, wie Ch. Thomasius, Voltaire u. A. das Hauptverdienst um die Abschaffung der Folter zukommen, hier soll bezeugt werden, dass Fabricius bereits in klarer Weise (sowohl in seinem Buche über den Nutzen der Anatomie, als auch in der Vorrede zu der Gesammtausgabe seiner Werke) die Nutzlosigkeit, Schädlichkeit und Schändlichkeit der Tortur auseinander gesetzt und in eindringlicher Weise die damaligen Staatsleiter um Milderung des grausamen Verfahrens ersucht hat. Aber wie die Stimme des Rufenden in der Wüste, so verhallte auch die seinige! Wurde doch erst vor 100 Jahren — freilich weit früher als in manch' andern Staaten — hier in Bern die Folter factisch abgeschafft.

Einen schönen Zug seines gemüthvollen Charakters bildete auch seine Anhänglichkeit an die alte Heimath. Obgleich er doch in

seinen jungen Jahren in die Schweiz kam und hier schon durch Jahrzehnte seinen Aufenthalt genommen hatte, ferner durch Familienbeziehungen und Stellung an dieses Land gebunden war, vergass er sein Vaterland nicht; die Lage desselben in dieser Zeit konnte in ihm keine freudigen Gefühle erwecken, sondern nur das tiefste Mitleid. Die unglückselige Glaubensspaltung, die Wirren, welche dem 30jährigen Kriege voran gingen, und welche der Letztere selbst anrichtete, der Rückgang der hohen Schulen, sowie der Kultur überhaupt, pressten ihm in manchem Briefe an Freunde in der Heimath lebhafte Klagen aus! Und doch erlebte er nur die erste Hälfte des verderblichen Krieges; sein Todestag fällt in das Jahr der verhängnissvollen Schlacht von Nördlingen (1634), nach der bekanntlich noch 14 Jahre lang fremde und einheimische Söldner das unglückliche Land verheerten und demselben Wunden schlugen, die jetzt noch nicht ganz vernarbt sind.

In seinem Familienleben waren Glück und Unglück gleichmässig vertheilt. Seinen Vater verlor er, wie bereits bemerkt, frühzeitig; seine Mutter, die er noch in ihren letzten Lebenstagen besuchte, starb 1611. Bei seinem Tode war von seinen Geschwistern, die in Hilden wohnten, nur noch eine Schwester und ein Stiefbruder am Leben, die er in seinem Testamente nicht vergass. Seine Gattin, an der er mit grosser Verehrung hing und die ihm eine treue Gefährtin bis an sein Lebensende blieb, muss eine ebenso intelligente als energische Frau gewesen sein; sie unterstützte ihn in seinen wissenschaftlichen Arbeiten, besonders aber in seiner ärztlichen Thätigkeit; sie hatte sich Kenntnisse und Geschick in der Chirurgie angeeignet, so dass sie in Abwesenheit ihres Mannes oft selbst ärztlich eingriff. So berichtet Fabricius selbst, dass dieselbe mit ihrem Sohne einen complicirten Beinbruch in Lausanne zu seiner grössten Zufriedenheit und mit dem besten Erfolge behandelt habe. Mehr noch als ihr Mann war sie als Geburtshelferin gesucht; sie hatte hier in Bern in den obstetricischen Hülfeleistungen sogar mehr Ruf als Fabricius selbst. Von seinen 7 Kindern verlor er mehrere frühzeitig; an den Kindern einer frühe verstorbenen Tochter scheint er wenig Freude erlebt zu haben, wie aus mehreren Clauseln seines Testaments hervorgeht. Tief erschütterte den beinahe 70jährigen Greis die Nachricht von dem Tode seines jüngeren Sohnes Peter, der sich ebenfalls dem

Studium der Medicin gewidmet hatte und auf einer wissenschaftlichen Reise in Holland starb. Von seinen Kindern überlebte ihn überhaupt nur sein älterer Sohn Johannes; aber der Trost ward unserem Fabricius versagt, diesen Sohn noch einmal an seinem Sterbebette zu sehen. Derselbe, in weiter Ferne (wo? ist ungewiss) als Arzt thätig, eilte auf die Nachricht von dem herannahenden Ende seines Vaters mitten durch das Kriegsgetümmel und unter den grössesten Gefahren nach Bern; er traf jedoch den Vater nicht mehr am Leben. Er blieb hier in Bern. Ueber sein weiteres Schicksal wissen wir nichts; mit ihm schon scheint das Geschlecht der Fabry in unserer Stadt erloschen zu sein.

Leider war unserm Fabricius ein heiterer Lebensabend nicht beschieden. Wiederholte Erkrankungen, sowie die Strapazen der vielen langen Reisen, hatten bereits seine Constitution geschwächt, als er in seinem 57. Lebensjahre von der Berner Regierung zu dem im Bade Leuk schwer erkrankten Stadtschreiber, Jacob Bucher, geschickt wurde. Die gefahr- und mühevolle Reise über die Gemmi wurde von ihm zu Fuss zurückgelegt; denn noch nicht existirte der jetzige bequeme Walliser Abstieg, der bekanntlich erst im vorigen Jahrhundert (1736-1741) angelegt wurde. Er zog sich hierbei ein gichtisches Leiden zu, das sich bald durch seine unruhige Lebensweise sehr verschlimmerte. Trotzdem gab er seine Reisen nicht auf; allmählich nahmen jedoch die Beschwerden zu, so dass die Letzteren seltner wurden und sich nur noch auf die westliche Schweiz beschränkten, und schliesslich er seine ärztliche Thätigkeit nur noch in den Mauern unserer Stadt ausüben konnte. — Die schweren körperlichen Leiden, zu denen sich die herben Schicksalsschläge in seiner Familie hinzugesellten, beugten ihn jedoch nicht, mit Mannesmuth und mit christlicher Ergebung trug er sein Loos; mit Humor suchte er sich über die Qualen seines Leidens, das er scherzweise seine domina et regina Zipperlina nannte, hinwegzusetzen.

Der Körper war zwar gebrochen, der Geist jedoch nicht; mit demselben Eifer, mit dem er bisher vorzugsweise der praktischen Thätigkeit oblag, wandte er sich nun der schriftstellerischen zu; eine Reihe seiner Schriften stammen aus dieser Zeit. Vorzugsweise war er mit der Umarbeitung seiner sämmtlichen Werke beschäftigt; sie sollten in einer Gesammtausgabe erscheinen. In der

That hatte er dieselbe in den letzten Jahren fertig gestellt und die Manuscripte bereits einige Monate vor seinem Tode an den Druck- und Verlagsort Frankfurt abgesandt. Er erlebte jedoch das Erscheinen derselben nicht, der Krieg trat hindernd dazwischen; erst 12 Jahre nach seinem Tode (1646) erschien dieselbe, leider unvollständig, besonders in den Abbildungen, auf deren künstlerische Herstellung er mit dem Berner Maler Plep so viel Sorgfalt verwendet hatte. Zu der gichtischen Erkrankung trat ein katarrhalisches Brustleiden mit asthmatischen Beschwerden hinzu. Den Tod lange voraussehend, verschied er hier in Bern am 14. Febr. 1634, Vormittags 11 Uhr in seinem 74. Lebensjahre.

Gross war die Trauer um den Dahingeschiedenen: Von allen Seiten kamen der Wittwe Beileidsbezeugungen und zwar nach der Sitte der damaligen Zeit, meist in poetischer Form zu, die sein pietätvoller Sohn Johannes sammelte und unter dem Titel "Lacrumae aeternae in obitum Guilhelmi Fabricii Hildani effusae" herausgab. Noch mehr ehrte den edlen Todten die Stadt Bern. Zwischen diesem unserm Universitätsgebäude und der benachbarten städtischen Bibliothek befindet sich bekanntlich der alte botanische Garten. Einst hatte dieser Platz eine ganz andere Bestimmung: es war eine Begräbnissstätte, jedoch nur für Rathsherrn und um das Vaterland hochverdiente Männer; es war der Campo santo des alten Berns! Hier wurde Fabricius zur Erde bestattet. Und wenn Sie dieses Haus verlassen und auf jenen Platz übertreten, so ruft Ihnen gleich zur Linken das Grabdenkmal unseres Fabricius sein ernstes Siste Viator! zu. Der Denkstein — fast der einzige, der noch erhalten ist — ist jetzt in die nördliche Mauer dieses unseres Hochschulgebäudes eingelassen. Nicht lange wird es hoffentlich mehr dauern, so wird dieser düstere Klosterbau, dessen Grundstein vor gerade 200 Jahren gelegt und der unserer Hochschule durch fast ein halbes Jahrhundert als nicht sehr würdige Heimstätte gedient, unbeweint dahinfallen! Mit ihm wird aber auch die letzte irdische Erinnerung an den vortrefflichen und ehrwürdigen Wilhelm Fabricius Hildanus dahinsinken! Ich habe es für eine Ehrenpflicht erachtet, noch zuvor diesen bescheidenen Lorbeerkranz an dem Denkmal dieser Zierde des ärztlichen Standes niederzulegen!