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Zur Beurteilung des historischen Wertes der Streitschriften aus der Zeit des Investiturstreites.

Von

G. Meyer von Knonau.

Rektoratsvortrag bei Anlass der Feier des Stiftungstages der Universität Zürich

am 29. April 1897.

Bei der Eröffnung des letzten Studienjahres unserer Hochschule wurde an dieser Stelle der Versuch gemacht, zu zeigen, wie auf dem Boden unserer engeren landesgeschichtlichen Entwicklung die historischen Studien sich gestalten können, inwieweit eine eigentümliche Art der Betreibung eines Studiums der Geschichte durch die Angehörigen der Schweiz sich denken lasse 1).

Am heutigen Tage möchte der Sprechende aus seinem eigenen engeren Arbeitsfelde einen einzelnen Gegenstand herausziehen und zu diesem Behufe seine Zuhörer bitten, sich mit ihm unmittelbar um die Spanne von genau acht Jahrhunderten rückwärts geistig zu versetzen. Es ist allerdings eine. Zeit, die in vielen Dingen der Gegenwart unendlich fern liegt. Allein zugleich ist es doch andererseits eine Epoche, die wieder in sehr vielem unmittelbar an treibende Gedanken unserer nächsten Umgebungen anklingt. Der Name der verfallenen Burg am Appennin, Canossa, ist auch in unseren Tagen wieder zum Parteirufe geworden, und die in der Form der Kreuzzüge vor dem elften Jahrhundert emporgehobene orientalische Frage erscheint heute ganz ebenso als eine Haupttriebfeder der politischen Bewegung. Ebenso ist, wie vor dem Jahre 1100, so vor dem beginnenden 20. Jahrhundert für eine grosse geschlossene Partei in allen Staaten die Hauptfrage bei den zu gebenden Entscheidungen, wie der höchste Priester in Rom die Dinge bejahe oder verneine, und da gleichen sich die Erscheinungen mannigfach in hohem Grade für die Jahre Urbans II. und für diejenigen Leo's XIII.

So dürfte es für uns doch nicht so fern liegen, sich in das Jahr 1097 hinein zu denken.

Da stehen die gewaltigsten Gegensätze, die alle Welt bewegen, vor uns in. hervorragenden Persönlichkeiten verkörpert, die eine

Forderung wider die andere erheben, Fragen, die, seit der Mitte des Jahrhunderts stets mehr verschärft, jetzt an dessen Ende ihrer Beantwortung näher gerückt erscheinen.

Der Vertreter der weltlichen Ansprüche, der deutsche König Heinrich IV., war seit 1084 durch einen in Rom gegen Gregor VII. zur Weihe gebrachten Gegenpapst als Kaiser gekrönt, und jetzt hatte er 1090 zum drittenmal nach Italien sich begeben. Zwar war da Gregor Vii. schon seit bald fünf Jahren, äusserlich besiegt, aus Rom flüchtig, gestorben; aber die Gedanken der kirchlichen Weltbeherrschung, wie sie seine gewaltige Willenskraft aufgestellt, hatten in dem seit 1088 erwählten zweiten Nachfolger, dem französischen Urban II., einen ebenso geschickten als kühnen Erben gefunden. Die Bundesgenossin der päpstlichen Politik in Italien, die Markgräfin Mathilde von Tuscien, die Herrin von Canossa, zu bekämpfen war Heinrich's Vorsatz; der Gegenpapst Clemens sass in Rom, und Urban II. musste unstet auf die Flucht wandern. Aber auf die anfänglichen Siege folgten nun rasch die Rückschläge gegen den Kaiser. Aus rein nur politischen Erwägungen schloss Mathilde mit dem weit jüngeren Sohne eines der Hauptgegner Heinrichs in Oberdeutschland eine zweite Ehe ab, und so konnte der Vater des siebzehnjährigen Bräutigams, Welf, der durch Heinrich IV. abgesetzte Herzog von Baiern, leicht von den Alpen her nach den oberitalischen Plätzen der Bundesgenossin zur Befehdung des Kaisers die Hand reichen. Dann fiel des Kaisers eigener, seit 1087 als künftiger Nachfolger zum Könige gekrönter Sohn Konrad vom Vater ab, durch Urban und Mathilde dazu bewogen; noch schwerer wart dass des Kaisers eigene Gemahlin zweiter Ehe, die russische Grossfürstin Praxedis, gleichfalls zur Verräterin wurde und zum Vorteile der Pläne der päpstlichen Partei die ärgsten Anklagen gegen den Kaiser vorbrachte. So verlor Heinrich IV., durch den Papst neuerdings aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen und darauf wegen seiner fortgesetzten Verbindung mit dem Gegenpapst nochmals ausdrücklich verflucht, alle bisher gewonnenen Vorteile, und von 1093 an war er in Oberitalien überall eingeengt, tatsächlich ganz machtlos sodass er auf schmalem Raume, an der Etsch, in Verona, oder weiter östlich, in Padua, in Venedig, sich halten musste, jenseits der Alpen, in Deutschland, fast vergessen, durch Welf nordwärts abgeschnitten, durch den Sohn, König Konrad, aus der Lombardei verdrängt. Das waren die Jahre, wo Urban II. nunmehr, statt des in völligen Schatten gerückten Kaisers, die Unterhandlungen grossen Stils für Rom aufgriff. Einen Gesandten des Kaisers von Constantinopel empfing der Papst; auf grossen kirchlichen Versammlungen wurden unter päpstlichem Vorsitze die wichtigsten Dinge beraten und festgestellt,

sodass die Sorge für den Frieden als eine Angelegenheit des Papstes erschien. Von Italien hatte sich der Siegeszug des Papstes nach Frankreich fortgesetzt; der französische König wurde wegen seines Ungehorsams durch Urban II. excommunicirt, und überall wurden die Grundsätze der kirchlichen Reform neu verkündigt. Aber vollends als Urban II. am 26. November 1095 durch seine hinreissende Beredtsamkeit auf der Synode zu Clermont den schon längst in den asketisch bewegten Gemütern liegenden Gedanken wachrief, eines Feldzuges gegen die Ungläubigen zur Befreiung des heiligen Grabes, da war der Papst unmittelbar der Urheber einer die grossartigsten Dimensionen annehmenden Bewegung des Abendlandes geworden, und wenigstens für den Anfang stellte sich der erste Kreuzzug ganz wie ein persönliches Unternehmen des obersten abendländischen Priesters dar, während des kaiserlichen Namens nirgends dabei Erwähnung geschah. Ein ganzer Volksaufbruch in Waffen war die Folge des Rufes: "Gott will es!", den Urban's Wort erweckt hatte. Schon waren grosse Massen der vorausgeschobenen, unordentlich angehäuften Scharen elend untergegangen, lange ehe sie nur Asien betreten hatten, als sich um die Zeit des Osterfestes 1097 endlich die wohl vorbereiteten Heere der abendländischen Fürsten um Constantinopel und Chalkedon versammelten.

In den gleichen Frühjahrswochen nun — das Osterfest fiel 1097 auf den 5. April — glückte es Heinrich IV., sich aus seiner unwürdigen Stellung, die ihm im Polande durch die überlegenen Gegner aufgezwungen worden war, zu befreien. Das von vorneherein unnatürliche Ehebündnis der Markgräfin Mathilde mit dem jungen Welf hatte dem habgierigen Sinne des Schwiegervaters die erhofften Bereicherungen in Italien nicht gebracht; so trennte sich mit Welf II., der sich von seiner Gemahlin entfernt, auch der Vater Welf I. von der Sache Mathildens ab, und die seit 1095 mit dem Kaiser eröffneten Unterhandlungen führten jetzt zum Ziele. Heinrich IV. widerrief die über Wolf I. verhängte Achtserklärung und gab ihm das Herzogthum Baiern zurück, Dagegen erlangte nunmehr der Kaiser, als ihm die Alpenpässe in solcher Art wieder aufgeschlossen worden waren, die Möglichkeit der Rüchkehr nach Deutschland, wo sein Walten seit vollen sieben Jahren hatte vermisst werden müssen. Schon das Pfingstfest feierte er wieder in einer baierischen Bischofsstadt, zu Regensburg, und die Möglichkeit war geboten, dass die fast erloschene kaiserliche Autorität in Deutschland wieder emporkam. Die furchtbar gesteigerte Heftigkeit der Gegnerschaft schien auch zwischen Tron und Altar, zwischen Imperium und Sacerdotium. sich wieder abmildern zu können.

Ein Hauptinteresse, das uns nach acht Jahrhunderten alle diese Fragen bieten, liegt darin, dass wir neben den geschichtschreiberischen Zeugnissen über diese ganze Reihe von Streitpunkten, wie sie unter dem Namen des Investiturzwistes zusammengefasst werden, zahlreiche Stimmen aus den Reihen der Kämpfenden selbst vernehmen, aus beiden Lagern, dem kaiserlichen, wie dem päpstlichen, von diesseits, wie von jenseits der Alpen, teilweise schriftstellerische Leistungen ersten Ranges, sodass der Gang der so heftigen Erörterungen vielfach bis in das Einzelne verfolgt werden kann. Die erst in den letzten Jahren geschehene Bearbeitung und Veröffentlichung dieser "Libelli de lite imperatorum et pontificum saeculo XI. et XII. conscripti", die durch die Monumenta Germaniae historica in einer alle früheren Ausgaben entbehrlich machenden Weise geboten ist, legt dieses gesamte geistige Ringen, von dem so viele Punkte in den Kämpfen der Gegenwart wieder ihren Nachhall finden, in ganzer Vollkommenheit, soweit sie nach manchen Verlusten noch erreichbar ist, vor die Augen, und das ausgezeichnet eindringliche 1894 erschienene Werk des Professors der Kirchengeschichte an der Universität Marburg, Karl Mirbt, betitelt: "Die Publizistik im Zeitalter Gregor's VII.", hat das grosse Material in einer durchaus belehrenden Weise zu gestalten gewusst. So ist es jetzt möglich, die Beleuchtung der Dinge, notwendigerweise fast überall eine ganz von Parteiauffassungen ausgehende und deswegen nur mit Vorsicht zu benutzende Beurteilung, wie sie aus diesen Streitschriften hervorgeht, in einem Umfange eintreten zu lassen, wie das früher bei weitem nicht so der Fall war.

Es ist nun selbstverständlich, dass für eine und dieselbe theoretische Frage, je nach der ganzen politischen Constellation, in verschiedenen Zeitabschnitten des grossen Streites ungleiche Auffassungen sich ergaben, und so trifft das auch für eine sehr beachtenswerte Streitschrift ein, deren Abfassung genau in das Jahr fällt, in das zurückzuversetzen wir uns vornahmen.

Wir haben gesehen, dass Papst Urban II., und zwar entgegen einer im Beginne seines Pontificates ersichtlich gewordenen massvolleren Politik, im Verlaufe der darauffolgenden Kampfjahre immer angriffslustiger geworden war. Auch auf dem Boden Deutschlands, ganz vorzüglich in Schwaben und in den oberdeutschen Landen überhaupt, wo eine ausgesprochen mönchisch asketische Richtung sich siegreich ausbreitete, wurde für die Unterwerfung unter die päpstlichen Gebote mit wachsendem Erfolge gerungen. Für Urban handelte es sich dabei hauptsächlich darum, den Zusammenhang der Gruppe der Bischöfe, die noch stets auf der Seite des Kaisers und des kaiserlichen Gegenpapstes, Wibert-Clemens III., stand, zu lockern,

den Übertritt solcher kaiserlich gesinnter Bischöfe in das entgegengesetzte päpstliche Lager zu befördern und damit die Kraft der Position Heinrich's IV., durch den Abfall seiner geistlichen Anhänger, vollends zu erschüttern. Das aber konnte am leichtesten geschehen, wenn er hier wieder mildere Mittel zur Anwendung brachte und die bisherigen Gegner durch sein Entgegenkommen zu gewinnen suchte. Der kluge, wohl überlegende Politiker vermochte so, mitten in der Siegerlaufbahn gegenüber Heinrich IV., durch die Wahl ausgleichender Schritte, sich den Verhältnissen, wo solche entgegentretende Massregeln erforderlich erschienen, anzuschmiegen und dergestalt neue Erfolge zu erbeuten.

Schon in dem ganzen Kampfe, seit dem Anfang der Regierung Heinrichs IV., gleich nach der Mitte des Jahrhunderts, war eine Forderung von römischer Seite immer schärfer aufgestellt, immer ausdrücklicher von anfänglich beschränkterer Auffassung weiter ausgedehnt worden, die Abstellung der Simonie, die dann aber mit der Investitur geistlicher Amtspersonen durch Laienhand schlechthin auf die gleiche Linie gestellt wurde.

Simonie hiess in der Kirche, nach dem Namen des in der Apostelgeschichte erwähnten Zauberers Simon, der durch eine für Geld erkaufte apostolische Handauflegung den heiligen Geist sich hatte verschaffen wollen, schon längst der Verkauf oder die Erkaufung der geistlichen Ordination für Geld oder Geldeswert. Allein seit 1058 insbesondere, wo der Cardinal Humbert seine "Libri tres allversus Simoniaeos" hatte ausgehen lassen, war der Begriff der Simonie noch ausgedehnt und zugleich verschärft worden. Humbert, ein Hauptvorfechter der kirchlichen Reformpartei, hatte in dieser Kundgebung erstlich die Simonisten als die allerärgsten Häretiker hingestellt und namentlich gefordert, dass auch alle von simonistischen Bischöfen erteilten Weihen, die bisher noch, sobald der Geweihte nichts entrichtet hatte, anerkannt worden waren, als ungültig hingestellt würden. Doch nach einer in den lebhaftesten Farben entworfenen Schilderung der übeln Folgen der Simonie, wie sie sich in dem Schicksale des n den Händen der Simonisten liegenden Kirchengutes entfaltet hatten, griff nun Humbert noch weiter und erreichte mit seinen scharfen Vorwürfen die weltlichen Fürsten, die bei den Bischofswahlen mit ihrer Einwirkung voranstanden. Damit aber war das Institut der Investitur, durch deren Handhabung von Seite eben solcher Fürsten, von Laienpersonen, in Gestalt der Zuteilung des Hirtenamtes mit den Symbolen von Stab und Ring, Wahl und Bestätigung der Bischöfe ausging, auch schon direkt getroffen. Das Andenken des Vaters des damals noch unter Vormundschaft regierenden jungen Königs Heinrich IV., die Erinnerung an den

vor nur zwei Jahren verstorbenen Kaiser Heinrich III., wurde, so sehr Humbert sich noch bemühte, jenen zu schonen, im weiteren Verlaufe gleichfalls tadelnd herangezogen, und ohne dass der Verfasser den Namen der Regentin, der Kaiserin Witwe Agnes, nannte, meinte er doch selbstverständlich geradezu die Mutter Heinrich's IV., wenn er bei den Klagen über diese Dinge der Anmassung der Frau gedachte, und so stand schliesslich der Cardinal schon hart vor dem Ausspruche, dass die Investitur selbst, wie sie eben von der Regierung der Kaiserin Regentin geübt wurde, zu verbieten sei 1). So war demnach schon im fünfzehnten Jahre vor der Papstwahl Gregors VII. auf diese Weise die Simonie mit der Laieninvestitur ganz auf gleiche Linie gerückt, und dann war Gregor VII. selbst später zum unmittelbaren eigentlichen Verbote der Investitur im weiteren gelangt.

Dagegen hat Urban II. auch in dieser wichtigen Frage einen anderen Weg eingeschlagen. Auf der Synode von Piacenza, die er vor seinem Abgange nach Frankreich, im März 1095, nicht ganze drei Vierteljahre vor derjenigen zu Clermont, hielt, ging er zwar aufs heftigste gegen den kaiserlichen Gegenpapst, den Häresiarchen Wibert, und dessen Anhänger vor. Aber in den Beschlüssen der Synode wurde doch schon zwischen Simonisten schlechtweg und nicht simonistischen Schismatikern, die eben zurzeit nicht der römischen Kirche gehorsam sich erwiesen, bestimmt unterscheiden. In der Reihe der von der Synode aufgestellten Kapitel erscheint allerdings die völlige Verwerfung der Simonisten, die durchaus als Häretiker gelten, von neuem, immerhin schon mit einer gewissen Milderung, insofern Weihen, die von Simonisten vollzogen wurden, aus Mitleid nicht als ungültig erklärt werden sollten, wenn nämlich der Akt der Weihe ohne Simonie geschah und die Geweihten beweisen können. sie hätten bei der Weihe nicht gewusst, dass der Weihende ein Simonist sei. Vollends die Schismatiker aber, mit anderen Worten der betreffenden synodalen Bestimmung selbst: "die einst zwar katholisch ordinirten, aber in diesem Schisma von der römischen Kirche getrennten Bischöfe" — das eben waren jene von Kaiser Heinrich IV, jedoch ohne Simonie, investirten Vorsteher bischöflicher Kirchen — sollen hinsichtlich der von ihnen vollzogenen Weihen unbenachteiligt bleiben: denn die von diesen bischöflichen Persönlichkeiten Geweihten dürfen, wenn sie in die geeinigte Kirche zurückkehren, unter Aufrechterhaltung der Gültigkeit ihrer Weihen, sich dem Verbande der allgemeinen Kirche wieder anschliessen.

Dadurch war in unverkennbarster Weise auch solchen Bischöfen, die bisher im Lager Heinrich's IV. gewesen waren und den Pontificat des Gegenpapstes Wibert anerkannt hatten, die Möglichkeit eröffnet, in den Verband der unter Urban II. zusammengefassten Kirche sich hinüber zu begeben; denn sie hatten nicht mehr zu besorgen, dass bei einem solchen Wechsel der Partei alle von ihnen bisher unmittelbar oder mittelbar vollzogenen kirchlichen Handlungen in Zweifel gesetzt würden.

In diesen Zusammenhang entgegenkommender, politisch wohl berechneter Massregeln Urbans II. gehört nun aber ferner der Inhalt einer Streitschrift, die im Jahre 1097, also zwei Jahre nach der Synode von Piacenza, als der Papst, aus Frankreich zurückgekehrt, seit 1094 zuerst wieder in Rom seinen Sitz aufgeschlagen hatte, in einer zweiten Bearbeitung zu Tage kam.

Der Verfasser dieser umfangreicheren "Libellus contra invasores et aliquos scismaticos" betitelten Schrift war Cardinalpriester der römischen Kirche, mit Namen Deusdedit. Ursprünglich Mönch in einem Kloster der umbrischen Appenninstadt Todi, war Deusdedit unter Gregor VII. nach Rom gezogen worden; von einer im Auftrage dieses Papstes unternommenen Legation her kannte er auch den Boden der deutschen Verhältnisse. Gregor's VII. Nachfolger, Victor III., widmete Deusdedit eine Kanonsammlung, mit der ausgesprochenen Absicht, in diesem Werke der römischen Kirche die Rechtfertigung ihrer Ansprüche gegenüber den weltlichen Gewalten zu erleichtern. Unter Urban II. dann liess er das eben erwähnte, hier etwas näher zu besprechende Buch, das gegen die Eindringlinge und Simonisten und übrigen Schismatiker sich richtete, folgen, und zwar kam nach einer ersten kürzeren Form die eben im Jahre 1097 verfasste, allerdings auch nicht zum völligen Abschlusse gebrachte länger gewordene Überarbeitung, mit der wir uns zu beschäftigen haben.

Gleich das Vorwort kündigt die Absicht des Werkes an. Deusdedit will den Simonisten und Schismatikern eine Antwort geben, die da behaupten, die Kirche Christi stehe unter der königlichen Gewalt, sodass es gestattet sei, nach ihrem Belieben dieser Kirche, sei es auf Bitte, sei es um Geld, oder ohne Entgelt, Hirten aufzubürden und die kirchlichen Besitzungen zu entfremden, entweder zum eigenen Vorteile, oder zum Besten irgend eines andern, der ihnen beliebe.

Ein erster Abschnitt der Streitschrift ist der Widerlegung des Institutes der durch die Laien ausgeübten Investitur gewidmet. Dem gegenüber wird betont, dass in der ältesten Zeit der Kirche, nach Anordnung der Apostel, ein erledigter bischöflicher Stuhl durch

Klerus und Volk der Diöcese neu besetzt worden sei. Dann verfolgt der Verfasser durch die weiteren Zeiten das Umsichgreifen der weltlichen Gewalt in diesen Dingen, und sogar ein Papst, Nikolaus II., erfährt da wegen seines Papstwahldekretes, vom Jahre 1059, weil dieses der alten kirchlichen Überlieferung nach des Autors Ansicht nicht entspricht, Tadel wegen seines Irrtums. Auch die argen Folgen der Laieninvestitur werden ausgemalt, wie diese denn geradezu den Weg zur Simonie weise, wie dabei die notwendige Ungleichheit zwischen Geistlichen und Laien sich verwische: manche Priester denken so mehr an ihre Hunde und Falken, oder sie laufen an des Königs Hof und leisten da die unwürdigsten Dienste. Allein Deusdedit will, dass gegenüber der alten heiligen kirchlichen Ordnung; wie sie über die Einsetzung von Bischöfen bestehe, durchaus keiner irgend davon abweichenden Neuerung, wie sie einer Berechtigung der weltlichen Fürsten entsprechen würde, Gültigkeit zugestanden werden dürfe.

Der zweite Abschnitt führt in längeren Beweisstellen aus den Kirchenvätern, aus anderweitiger älterer, kirchlicher Literatur die Sätze des Autors weiter aus. Simonisten können gar keine wahren Priester sein; der ordinirende, der ordinirte Simonist sind als "pseudosacerdotes" zu bezeichnen; die von solchen falschen Priestern verwalteten Sakramente sind ohne wahres Wesen und wirkungsunkräftig. Im dritten Abschnitte wird der Ausgang vom Begriffe des Wortes Klerus genommen: Klerus ist die Bezeichnung für diejenigen, welche im Loose des Herrn stehen und am Herrn teil haben. Darum wird der Schluss gezogen, erstlich, dass das christliche Volk die Priester und Diener Gottes unterhalten, sie ehren und ihnen gehorchen solle, nicht aber sie verunglimpfen und verfolgen, und zweitens, dass es den Weltlichen nicht zustehe, Kleriker in die Kirchen einzuführen, aber auch nicht solche auszutreiben, noch überhaupt in kirchliche Dinge sich einzumischen. Im vierten und letzten Abschnitt endlich kehrt Deusdedit wieder ausdrücklich zur Investiturfrage zurück und stellt da alle kirchlichen Forderungen in schärfster Weise auf.

So ist denn unleugbar durch das ganze breit angelegte Werk des gelehrten Kanonisten hindurch der Gedanke auf das schärfste ausgeprägt, dass die Kirche nirgends der königlichen Gewalt sich unterzuordnen habe, dass im Falle eines Conflikts stets das kirchliche Recht ganz unbedingt vor dem staatlichen zur Geltung kommen müsse. Aber dessen ungeachtet macht sich gegenüber dem viel schrofferen, älteren gregorianischen Prinzip eine gewisse Abweichung geltend, und die neueste umfassende kirchengeschichtliche Forschung von deutscher Seite, Albert Hauck's 1896 erschienenes Werk: "Die

Kirche Deutschlands unter den sächsischen und fränkischen Kaisern" — weist sehr zutreffend auf diese Wendung, wie sie bei Deusdedit hervortritt, hin.

Die königliche Gewalt war in Worten Gregor's VII. geradezu, als eine dem Göttlichen widersprechende Einrichtung, dem göttlichen Institute des Priestertums gegenübergestellt worden; der Staat war da also im Gegensatz zur Kirche nicht nur der minderwertige Faktor, sondern ein Produkt der Sünde, Deusdedit geht nicht mehr so weit: ihm ist der Staat zwar keine eigentlich göttliche Stiftung, aber doch eine von Gott erlaubte Einrichtung. So aber urteilt er eben auch nicht so verwerfend über jene Bischöfe, die, nämlich ohne eine Geldzahlung, von dem Könige, vom Kaiser eine Kirche angenommen haben. Sie werden zwar als Schismatiker, da sie jetzt noch nicht den rechtmässigen Papst Urban II, anerkennen, sondern noch dem Gegenpapst Wibert anhängen, bezeichnet, aber ausdrücklich von den Simonisten, den Häretikern, unterschieden, die den schändlichen Akt des Kaufs, des Verkaufs von Weihen begangen haben. Allerdings sind nach Deusdedit solche Schismatiker zur Zeit noch nicht der kirchlichen Autorität gehorsam; aber es ist möglich, dass sie in die Kirche, durch Lösung von der Partei des Gegenpapstes, eintreten und so ihre kirchlichen Würden, unter nachmaliger Anerkennung ihrer Ämter von Seite der römischen Kirche, behaupten.

Man sieht: so ist die Linie, auf der schon die Synode von Piacenza stand, 1097 fortgesetzt worden, und zwar ist es von besonderer Wichtigkeit, dass erst die diesem Jahre angehörige, ausgedehntere, zweite Redaktion des Buches des Deusdedit an zahlreichen Stellen die Schismatiker neben den Simonisten, oder richtiger im Gegensatz zu ihnen, berücksichtigte.

Die Folge hievon hatte nun aber Heinrich IV., alsbald nach seiner Rückkehr auf deutschen Boden 1097, zu erfahren. Bei mehreren bisher wibertistischen, auf Seite des Kaisers stehenden, deutschen Kirchenfürsten lässt sich nachweisen, dass sie jetzt eben in Urbans II. letzter Lebenszeit — dieser Papst starb am 29. Juli 1099 — entweder geradezu Urban anerkannten und so in den Verband der römischen Kirche sich begaben oder wenigstens ihre bisherige Verbindung mit Wibert nicht mehr pflegten. In allen diesen Fällen aber erlitt Heinrich's IV. Machtstellung wesentlichen Abbruch.

So zeigen die in der hier beleuchteten Streitschrift hervortretenden theoretischen Ausführungen unleugbar auf das deutlichste ihre Abspiegelung im Gange der bestimmenden politischen Ereignisse.

Allein überhaupt beherrschten alle diese in den mannigfaltigsten Streitbüchern behandelten Fragen die ganze wild bewegte Zeit und ihre öffentliche Meinung nach allen Richtungen.

Ob die Excommunication des Kaisers durch den Papst gesetzlich sei und der Papst das Recht dazu gehabt habe, oder wie es sich mit der Schuld Heinrich's IV. verhalte, oder andererseits mit dessen Absetzung, nut der Lösung der Untertanen von ihrem Eide, oder über die Frage der Priesterehe und des Cölibates, über die Simonie, inwiefern von einer Gültigkeit der durch simonistische oder verheiratete Priester gespendeten Sakramente gesprochen werden könne, ob nicht das Volk nach dem kirchlichen Gebote sich gegen solche Häretiker erheben, sie abweisen müsse, ferner über die Laieninvestitur, den Differenzpunkt, nach dem ja die ganze streiterfüllte Epoche gemeiniglich bezeichnet wird: über all dem und weiterem noch gingen die Erörterungen hin und her, und sie gipfelten sich schliesslich in den Diskussionen über die allgemeinen Probleme des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.

Und nicht bloss mit Worten, mit schriftstellerischen Mitteln. sondern im täglichen Treiben des Volkes, auf den Märkten und Strassen gingen diese Fragen hin und her. Alle lokalen, alle persönlichen Gegensätze kleideten sich darein; in diesen Angelegenheiten wurden hin und wieder die Waffen ergriffen und geschwungen.

Nur schon ein kurzer Einblick in die Geschichte unserer eigenen Gebiete, der damals durch ganz Südschwaben und bis an den St. Gotthard reichenden Diöcese Constanz, lehrt das zur Genüge. Für und wider Heinrich IV. führten ein politisch und kriegerisch hoch befähigter Abt von St. Gallen, der aus Kärnten stammende, von Heinrich IV. eingesetzte Ulrich von Eppenstein, und der eifrige Vorkämpfer für die gregorianische Auffassung, der Zähringer Gebhard III. auf dem Constanzer Bischofsstuhl, den Streit; Bischof und Gegenbischof, Abt und Gegenabt füllten auch sonst die Landschaften weit um den Bodensee mit allen Gräueln des Krieges; schon gleich im Beginne des heftigeren Gegensatzes hatte ein Graf von Lenzburg einen Legaten des Papstes gefangen auf seine Burg gelegt, und von Zürich war damals der wider Heinrich IV. neu erhobene Gegenkönig, obschon er Herzog von Schwaben war, also in seinem eigenen Lande Gehorsam forderte, Rudolf von Rheinfelden, zurückgewiesen worden.

Die Streitschriften bieten sich als der beste Schlüssel dar, um die Ideen, die allmächtig vor achthundert Jahren die Gemüter beherrschten, zu verstehen. Doch so wichtig ihr Inhalt für uns ist, so sehr wir oft nur ihnen Dinge entnehmen können, die in der eigentlichen Geschichtschreibung nicht enthalten sind, so darf doch

nur mit grosser Vorsicht aus diesen Schriften geschöpft werden. Denn allerdings greifen wir, wenn wir sie vornehmen, gewissermassen geradezu den Puls der Dinge, wie die Meinungen sich folgten, gegenseitig bedingten. Aber wenn schon die Geschichtserzählung objektiverer Färbung sich in der wild bewegten Zeit vom Bekenntnis der Parteien nicht ferne halten kann, so ist vollends dieser unmittelbare Pulsschlag, wie er da gefühlt wird, oft so unregelmässig, bewegt durch das Fieber des Hasses, feindseliger Vergeltungslust, dass es der Vorsicht bedarf, wenn nicht eine vielfach schiefe Beurteilung des Tatbestandes solchen Äusserungen entnommen werden soll. Je unvermittelter also der Leser dieser Schriften, mit ihren Herausforderungen und Erwiderungen, sich in den stürmischen 'Fluss der Zeitfragen hinein gestellt fühlt, um so geratener wird es sein, dass er sich dabei im Gedächtnisse halte, es seien Klänge eines scharfen, lange andauernden Streites, die ihm hier entgegen schallen.