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Laurentius Oken, der erste Rektor der Zürcher Hochschule.

Von
Arnold Lang.
Rektoratsrede, gehalten in der Aula bei der 65jährigen Stiftungsfeier
der Zürcher Universität den 29. April 1898.
Hochgeehrte Festversammlung!

Heute vor 65 Jahren wurde unsere Hochschule feierlich inauguriert. Es war ein Fest, wie Zürich vorher selten es gesehen. Unter Kanonendonner und Glockenschall, zwischen aufgestellten Truppenspalieren schritt der Zug, so berichtet der Historiograph unserer Universität 1), vom Rathaus in die Grossmünsterkirche, wo der amtliche Akt stattfand. Es sprach der Bürgermeister Hirzel als Vertreter des Erziehungsrates. Der Amtsbürgermeister Hess übergab, im Namen des Regierungsrates, die Stiftungsurkunde der Hochschule.

Der sie für die Universität in Empfang nahm, war ein kleiner, hagerer Mann in gerader Haltung, mit auffallend südlicher Gesichtsfarbe, scharf zugeschnittenen Zügen, glatt rasiertem Gesicht, kohlschwarzem, lockigem Haar und dunkeln, blitzenden Augen 2): ein Mann im vorgerückten Mannesalter: Laurentius Oken, der erste Rektor unserer Universität.

Auf der Höhe eines Weltrufes schon lange angelangt, nach mehr als drei Dezennien rastloser Arbeit und wechselvoller Lebensschicksale hatte er von München aus einem Rufe an unsere neu gegründete Hochschule Folge geleistet und war er unter den vier ersten Dekanen Keller, Schönlein, Oken und Hirzel von der Regierung zum Rektor gewählt worden. Er sprach mit Feuer von

der Kulturentwicklung der Menschheit und von der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre.

18 Jahre später, am 11. August 1851, begleiteten Schüler und Kollegen den Leichnam Oken's, dessen Lebenslicht langsam erloschen war, zum Begräbnis auf die hohe Promenade.

"Einst", so berichtete die "N. Z.-Z.", "einer der gefeiertesten Namen der Wissenschaft, hat er, wie Keiner, den Umschwung der geistigen Richtung auch in der Gelehrtenrepublik erfahren. Abends, in stiller Nacht, bei sternenhellem Himmel, betrat die akademische Jugend den neuen Kirchhof mit einem Fackelzug, der das Grab des dahingeschiedenen Gelehrten wie eine grosse Feuerkrone. umglänzte. Zwei Lieder wurden gesungen und, während man ein Lebewohl dem Kollegen von Seite des Rektors erwartete 1), ein Scheidewort von Hrn. Kramer gesprochen, worauf die stummen, aber weithin schimmernden Lichter wieder Paar und Paar in die Stadt zurückzogen."

Und die "Allgemeine Augsburger Zeitung" liess sich folgendes berichten:

"Vorgestern ist Oken in Zürich beerdigt worden. Das Geleite, das der Erziehungsrat und die Universitätsbürger seinem Sarge gaben und ein Trauergesang der Studenten waren die einzigen äusseren Merkmale, dass ein Heros der Wissenschaft zu Grabe getragen werde. Keiner seiner Kollegen fand sich veranlasst, der Verdienste des Verstorbenen und seines Ruhmes zu gedenken; kein Schüler fand sich, Zeugnis abzugeben für die Lehre des Meisters."

Erst drei Monate später, am 1. November wurde das Versäumte wieder einigermassen gut gemacht, indem Prof. Ludwig, damals Lehrer der Anatomie und Physiologie an unserer Hochschule, in der akademischen Aula eine Gedächtnisrede auf Oken hielt.

Aber schon vorher, am 1. September war ein Aufruf erschienen, unterzeichnet von den Professoren Kieser und Huschke zu Jena und Theile zu Bern, in welchem es hiess, dass sie gedenken, "ein öffentliches Standbild ihres Freundes und Lehrers in

Jena, an dem Orte, wo er vorzüglich gewirkt, zu errichten, dass sie deshalb alle Freunde, Schüler und Verehrer des grossen Mannes in und ausserhalb Deutschlands auffordern, durch Subskription zu den Kosten dieses nationalen Denkmales eines Mannes beizutragen, der im Leben wie in der Wissenschaft unermüdlich thätig, einen Funken der Begeisterung für das Höchste des Lebens zu erwecken verstand, welcher nachhaltig auf Jahrhunderte wirken möge, und der, ein Märtyrer seiner Zeit, im dankbarem Auslande die philosophische Ruhe des Alters suchen musste, die ihm das Vaterland versagte". -

Das Denkmal, von Drake ausgeführt, steht schon lange am Fürstengraben zu Jena. Auch die Stadt Offenburg hat Oken ein Denkmal gesetzt und ein Denkstein auf dem Pfannenstiel bezeichnet das Lieblingsziel der Wanderungen, die er von Zürich aus unternahm.

Und heute ist Oken so gut wie vergessen und von den Jüngern weiss selten einer, was und wer er war!

Darum erscheint es mir geradezu als meine Pflicht, als mittelbarer Nachfolger Okens, sowohl, wenigstens zum Teil, im Lehrfach als jetzt im Rektorat bei der heute sich bietenden Gelegenheit Okens Bedeutung in wenigen Zügen zu skizzieren.

Dem Bilde mag zuvor ein einfacher Rahmen bereitet werden.

Oken hiess von Haus aus nicht Oken, sondern Okenfuss. Die Familie soll aus Wipkingen, der früheren Aussengemeinde von Zürich, stammen, die ihm später das Ehrenbürgerrecht erteilte. Den Vornamen Laurentius verdankt er dem Schutzheiligen des Dorfes Bohlsbach bei Offenburg im Badischen, wo er 1779, als Sohn eines Bauren, geboren wurde. Nachdem er zuerst in seinem Dorfe, dann im Franziskaner Gymnasium zu Offenburg und in der Stiftsschule der Stadt Baden unterrichtet worden, bezog er im Herbst 1800 als Studierender der Medizin die Universität Freiburg i./Br. Schon 1802 publizierte er, unter dem Schriftstellernamen Oken, den er dann später auch sonst beibehielt. 1804 promovierte er in Freiburg als Doktor der Medizin. Im Winter-Semester 1804 bis 1805 war er in Würzburg immatrikuliert. Im Sommer 1805 habilitierte er sich in Göttingen; den Winter 1806/1807 brachte er auf der ostfriesischen Insel Wangerooge zu. Immer in kümmerlichen Verhältnissen und in bedrängter Lage, sah er sich schon

vor die Notwendigkeit gestellt, der akademischen Laufbahn zu entsagen, als er im Juli 1807 als ausserordentlicher Professor der Medizin nach Jena berufen wurde, 1812 wurde er in Jena zudem noch Honorarprofessor der Naturgeschichte. Die Universität Giessen beehrte ihn 1816 mit dem Titel eines Doktors der Philosophie Honoris Causa. Im Jahre 1819 sah er sich indes aus politischen Gründen genötigt, seine Aemter an der Universität Jena niederzulegen. Er machte dann Studienreisen nach München und Paris, hielt im Winter 1821/22 an der Universität Basel Vorlesungen, siedelte aber dann wieder nach Jena über, wo er bis 1827 ohne akademische Anstellung, schriftstellerisch thätig, lebte. Ende 1827 erhielt er die ordentliche Professur für Physiologie in München. Aber schon 1832, im Oktober, glaubte er sich abermals genötigt, die Stelle aufzugeben. Im Januar 1833 sodann wurde er als Professor der Naturwissenschaften an unsere neugegründete Universität berufen, an der er nun bis zu seinem Tode verblieb.

Oken war seiner ganzen Beanlagung nach ein Mann, dem die Beschränkung auf ein bestimmtes Wissensgebiet, die nüchterne und kritische Verfolgung bestimmter Probleme, nimmer zusagen konnte. Nie ist seine Wissbegierde, die sich auf alles und jegliches erstreckte, befriedigt worden. Die Zahl der Gebiete, auf denen er literarisch thätig war, ist erstaunlich gross. Seine früheste Neigung galt der Mathematik und der Kriegswissenschaft. Fürs Leben gern hätte er sich dem Soldatenstande gewidmet. Bis an sein Lebensende galt ihm die Wehrkunst als das höchste. Noch die letzte Auflage seiner Naturphilosophie 1843 schliesst mit der Lobpreisung der Kriegskunst, von der er immer gesagt hatte, dass sich in dem, der sie zu üben verstehe, alle Talente vereinigen. "Wie in der Dichtkunst sich alle Künste vermählt haben, so in der Kriegskunst alle Wissenschaften und alle Künste. Die Kriegskunst ist die höchste, erhabenste Kunst; die Kunst der Freyheit und des Rechts, des seeligen Zustandes des Menschen und der Menschheit — das Prinzip des Friedens." Oken nat sogar im Jahre 1814 eine Schrift vorwiegend militärischen Inhaltes herausgegeben, betitelt: Neue Bewaffnung, neues Frankreich, neues Deutschland. Ecker, der sorgfältigste Biograph Oken's, hat darüber das Urteil eines sachverständigen Offiziers eingeholt und dieser hat ihm offen erklärt, dass in der Schrift allerdings viele baroke Vorschläge enthalten

seien. Oken habe aber daneben in manchen Dingen den Nagel so auf den Kopf getroffen, dass man darüber nur staunen könne. Für besonders bemerkenswert hält es der Offizier, dass Oken schon vorgeschlagen habe, gezogene Gewehre einzuführen und bei Belagerungen Luftballons zu verwenden.

Auch die Gebiete der Geschichte und Archäologie hat Oken nicht unberührt gelassen. 1825 beschäftigte er sich ausführlich mit der Römerstrasse längs der Donau von Windisch nach Regensburg und kam darauf 1832 wieder zurück.

In der letzten Zeit seines Lebens bemühte er sich, die wahre Bedeutung der römischen Streitäxte festzustellen, von denen eben wieder mehrere Exemplare in Windisch und Braunenberg ausgegraben worden waren. Er hielt dieselben nicht für Waffen, sondern für Genickfänger oder Schlachtmeissel zum Töten des Viehes. Er liess mit nachgebildeten Streitäxten in Metzgereien Versuche anstellen; die Resultate waren derart, dass er fand, die neue Schlachtart sei die beste, die am raschesten töte und zugleich das Verbluten herbeiführe, so dass die Tiere nicht noch besonders abgestochen zu werden brauchten. Am 9. Dezember 1848 trat der 70-jährige Oken mit der neuen Schlachtart hier in Zürich öffentlich auf, auf dem Platze neben den Fleischbänken. Er lud dazu Dr. Ferdinand Keller und Dr. Heinrich Meyer, den Archäologen ein, welche auch beiwohnten. Die Demonstration gelang; das Kalb war augenblicklich tot: dessen ungeachtet sagten die umstehenden Metzger, mindestens zwei Dutzend an der Zahl, dass sie bei ihrer alten Manier zu schlachten bleiben wollten. Oken aber glaubte, seine Ansicht bewiesen zu haben, dass die Streitäxte Genickfänger und zugleich das "Scalprum" des Livius sind.

Oken war in den alten und in den neuen Sprachen sehr bewandert. Er schrieb sehr gut französisch. Die genaue Kenntnis des Lateinischen und Griechischen einerseits, der Tierkunde anderseits ermöglichte es ihm, 1845 eine sehr gelehrte und ausführliche Abhandlung über Ausonius' Fische in der Mosel zu schreiben.

Oken hat sich von früher Jugend an für Politik begeistert und den Gang der öffentlichen Ereignisse stets aufmerksam verfolgt. Die aktive Beteiligung an der Politik, an den. öffentlichen Diskussionen, hat wahrlich bei seinen Charaktereigenschaften nicht dazu beigetragen, ihm den Lebensweg zu ebnen. Denn —. Ecker hat

ihn trefflich charakterisiert — er war eine offene, aller Verstellung abholde und gegen jede Willkür sich aufbäumende Natur von unbeugsamem Willen und eiserner Festigkeit, von einer bis zur Derbheit sich steigernden Geradheit und Offenheit, dabei voll Menschenliebe, Treue, Anhänglichkeit und Dankbarkeit.

Die traurigen Zustände in Deutschland zu Anfang des Jahrhunderts, der Druck der Fremdherrschaft gingen ihm tief zu Herzen. Der Ausgang der Schlacht bei. Leipzig erweckte dann auch in ihm die kühnsten Hoffnungen auf ein grosses, einiges und in den Institutionen freies Deutschland unter Oesterreichs Kaiser. Diese Ideale suchte er durch Wort und Schrift zu fördern; solchen idealen Bestrebungen öffnete er auch weit die Spalten seiner grossen encyclopädischen Zeitschrift, der Isis, die er 1817 in Jena herauszugeben begann.

Als aber aus allen Teilen der deutschen Lande Klagen in die Isis gelangten, viele scharfe Kritiken von öffentlichen Zuständen und von Regierungsakten, von Verfassungen u. s. w. laut wurden, und Oken in seiner unerschrockenen Weise im Vordertreffen stand, die Pressfreiheit energisch verteidigte, da sammelten sich schwarze Wolken über der Isis, die von Anfang an mit Missgunst zu kämpfen hatte und der auch Goethe in keiner Weise geneigt war. Am 18, und 19. Oktober 1817 kam das bekannte Burschenfest auf der Wartburg. Oken nahm mit zwei andern Professoren an dem Feste teil, an dem 500 deutsche Studenten in jugendlicher, edler Begeisterung die Befreiung Deutschlands von fremder Unterdrückung feierten und sich gelobten, zu jeder Zeit für Deutschlands Grösse, Einheit und Unabhängigkeit einzustehen. Oken berichtete in der Isis. ausführlich über das Fest, das von eifrigen und mächtigen Partikularisten, besonders aber auf die Denunziation des Berliner Polizeidirektors Kamptz hin, rasch zu einer Verschwörung aufgebauscht wurde. Infolge von Warnungen und Reklamationen auswärtiger Regierungen und obschon der Grossherzog selbst die Veranstaltung des Festes erleichtert und unterstützt hatte, kam es zu einer Konfiskation der betreffenden Nummer der Isis, und schliesslich brach, nach Verhör, Verurteilung und Freisprechung Okens, das Gewitter doch los. Im Mai 1 819 von der Regierung vor die Alternative gestellt, entweder die Isis aufzugeben oder seine Professur niederzulegen, entschied sich Oken

ohne Bedenken für das letztere. Die Isis wurde aber trotzdem verboten und erschien von nun an in Leipzig.

Als Oken später, nach einer 8jährigen, für ihn überaus schmerzlichen Unterbrechung seiner akademischen Lehrthätigkeit, voll der schönsten Hoffnungen, in München das Lehramt der Physiologie übernahm, ahnte er nicht, dass auch hier seines Bleibens nicht lange sein würde. Allerlei Misshelligkeiten mit der Regierung, die zu erbitterten Zeitungsfehden führten — Oken wollte sich einfache Versetzungen an andere bayrische Universitäten nicht gefallen lassen und hielt sie mit dem Ansehen eines akademischen Professors für unvereinbar; er vermochte mit seinen Ansichten über den Wert des Unterrichtes der Naturgeschichte in den Schulen, über die Benutzung der Sammlungen u. s. w. nicht durchzudringen — allerlei solche Misshelligkeiten führten schliesslich dazu, dass Oken 1832 auch in München seine Entlassung einreichen musste.

Von dieser Zeit an, also während .seines Wirkens in Zürich, zog sich Oken von den öffentlichen Dingen zurück. Aber im Stillen verfolgte er sie doch, besonders die grossen politischen Ereignisse. Dass es immer stiller um ihn wurde, dass sie ihn im Reiche draussen immer mehr vergassen, sowohl als Politiker wie als Gelehrten, erfüllte sein Gemüt mit zunehmender Verbitterung. Selbst die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung von 1848 vermochte ihn nicht mehr zu erfreuen und zu erwärmen 1).

Bemerkenswert ist, dass der Prinz Louis Napoleon, als er in der Schweiz auf Arenenberg weilte, oft mit Oken verkehrte. Es kam öfter zu sehr erregten politischen Diskussionen zwischen den beiden. Harte Vorwürfe musste sich Napoleon besonders wegen des Strassburger Putsches gefallen lassen. Im Nachlasse Okens fand sich ein Brief Napoleons vom 20. August 1837, die Antwort auf jene Vorwürfe. Darin heisst es: "Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich auf Frankreich eine Art galvanische Probe habe machen wollen, um zu sehen, ob der grosse Körper wirklich tot war. Mein Versuch — obgleich durch einen unglücklichen Zufall misslungen — zeigte mir klar und deutlich, dass das Leben noch nicht entschwunden war und dass es nur eines elektrischen Funkens bedürfe, um wieder seine vorige Kraft und seinen Glanz anzunehmen."

Doch wenden wir uns nun in Kürze dem Naturphilosophen Oken zu. Schon der 23jährige Freiburger Student der Medizin philosophierte, vielleicht schon von dem kongenialen Schelling, mit dem er sich später befreundete, angeregt. Er schrieb schon 1802 eine "Uebersicht des Grundrisses des Systems der Naturphilosophie und der damit entstehenden Theorie der Sinne." Es folgten dann rasch mehrere weitere naturphilosophische Schriften. 1809-1811 erschien sein dreibändiges Lehrbuch der Naturphilosophie, das zuletzt in dritter Auflage in einem Bande in Zürich 1843 veröffentlicht wurde. Liest man die erste kleine Schrift Okens, so hat man schon den ganzen Geist, dessen Kind Oken war und — ich darf wohl sagen — unverbesserlich blieb. Die Naturphilosophie Okens wurde von der zünftigen Philosophie nie ernst genommen, obschon sie eine Zeit lang viele enthusiastische Anhänger fand. Von vielen wurde sie aber auch mit Spott und Hohn überschüttet. Uns modernen Naturforschern, auch denen, die gerne spekulieren und philosophieren — und es fehlt nicht an solchen — geht jegliches Verständnis für dieses Konstruieren ab, das buchstäblich aus Nichts Alles ableitet. Wir sehen uns in eine ganz fremde Welt versetzt, wenn wir Okens philosophische Schriften lesen, wir glauben zu träumen. Für Oken ist in der That das Nichts das Oberste, das Absolute. Es existiert Nichts als das Nichts. Während es nun jedem Sterblichen scheinen will, "dass Nichts in alle Ewigkeit Nichts bleibt", leitet Oken mit einer unheimlichen Leichtigkeit für uns völlig rätselhafte Operationen, wie Selbstponieren, Setzen, Verlangen Alles ab.

Es hat für uns keinen Zweck und wir haben keine Zeit, Oken bei diesen Operationen weiter zu begleiten; doch will ich auf dem mir zunächst liegenden Gebiete Okens Denkweise durch einige zum Teil berühmt gewordene Beispiele illustrieren. Ich wähle Oken als Begründer der Wirbeltheorie des Schädels, Oken als Vorläufer Darwins und Oken als Begründer der Zellentheorie.

Eine Lieblingsidee Okens ist der überall vorhandene und bis ins Kleinste gehende Parallelismus in der Natur, in Verbindung mit der Herrschaft von bestimmten Zahlengesetzen, die in letzter Linie wieder von den Sinnen abhängen. Die Natur wird für Oken fast zu einem Museum, in welchem die Naturobjekte nach einer Idee und einem bestimmten Zahlensystem gruppiert sind, die sich

dann in jedem Zimmer, in jedem Schrank, in jeder Schublade und in jeder Schachtel wiederholen. Die Schachtel 5 des Schrankes 6 entspricht der Schachtel 5 des Schrankes 7, oder dem Schranke 5 des Zimmer 9, nur ist die enthaltene Ware etwa von geringerer Qualität. Die Tiere muss man nach den Sinnen einteilen, danach erhält man Abteilungen, die ebensosehr Stufen der Vollkommenheit darstellen wie die Sinne selbst; so bekommt man 1. Gefühlstiere (alle niederen Tiere), 2. Zungentiere (es sind die Fische), 3. Nasentiere (es sind die Amphibien), 4. Ohrtiere (es sind die Vögel), 5. Augentiere (es sind die Säugetiere). Innerhalb jeder Abteilung wiederholt sich dieselbe Ordnung, es giebt z. B. innerhalb der Säugetiere wieder Gruppen, die der höheren Stufenfolge parallel gehen, Formen, die wieder mehr Gefühls- oder Zungen- oder Nasentiere oder Ohrtiere oder Augentiere sind. Der Parallelismus erstreckt sich bis in die Ordnungen, Familien und Gattungen. Er erstreckt sich aber auch auf die andern Naturreiche, auf die Pflanzen und die Minerialien. Es giebt Pflanzenklassen, die — eben auf der niederen Stufe der Pflanzenwelt — den Gefühlstieren, solche, die den Ohrtieren u. s. w. entsprechen. Es giebt Klassen von Mineralien, die auf dieser niedersten Stufe der leblosen Natur jenen tierischen Hauptklassen parallel gehen und auch hier geht der Parallelismus bis in alle Unterabteilungen. Derselbe Parallelismus findet sich mit Bezug auf geistige Eigenschaften, Charakter und Temperament. Er wiederholt sich in den Organen und in den Teilen der Organe. Auf diesem Parallelismus der Pflanzen mit den tierischen Organen und den Tierklassen beruht die materia medica, indem die entsprechenden Pflanzen oder ihre Stoffe specifisch darauf wirken werden, so die Pilze auf den Dotter, die Moose oder Tange auf das Eiweiss, die Farren auf die Embryonalhüllen u. s. w.

Wir sind nun vorbereitet, zu verstehen, wie Oken zu seiner Wirbeltheorie des Schädels kam. Lassen wir ihn selbst sprechen, wir erhalten so zugleich eine Stilprobe.

"Im Jahre 1802 schrieb ich ein Büchlein über die Bedeutung der Sinne. Ich hatte es glaublich früher ausgedacht als geschrieben. Darin zeigte ich, dass die Sinne wiederholte niedere Organe seyen. Obschon es von da nicht weit war zu dem Schluss ""die Schädelknochen werden also auch Wiederholungen

der Rumpfknochen sein"", so kam ich doch nicht dazu." Nur Das wurde mir bald klar, dass die Kiefer wieder Arme und Füsse im Kopfe sind, wie die Zähne den Nägeln entsprechen. Im August 1806 machte ich eine Reise über den Harz. Auf der Rückreise vom Ilsenstein rutschte ich an "der Südseite durch den Wald herunter — und siehe da, es lag der schönste gebleichte Schädel einer Hirschkuh vor meinen Füssen" (bei der die Basalknochen des Schädels nicht verschmolzen sind). "Aufgehoben, umgekehrt, angesehen und es war geschehen. Es ist eine Wirbelsäule! fuhr es mir wie ein Blitz durch Mark und Bein — und seit dieser Zeit ist der Schädel eine Wirbelsäule."

Bei dieser Gelegenheit noch eine kleine Stilprobe aus einem ganz anderen Gebiet — der Geschichte der Naturwissenschaft. Wir lesen: "Die Römer haben sich bloss mit dem Totschlagen der Menschen, nicht mit der Natur, beschäftigt."

Doch zurück zu Okens Wirbeltheorie, die bei ihm auch mit dem Gesetz der Fünfzahl verquickt ist.

Nach Oken besteht die Wirbelsäule aus 7 Sätzen zu fünf Wirbeln. Auch der Kopf ist eine Wirbelsäule; er besteht aus 4 Wirbeln, weil er 4 Sinnesorgane enthält oder nichts anderes als diese Sinnesorgane ist. Diese 4 Wirbel sind 1. Nasenwirbel (alle Nasenbeine), 2. Augenwirbel (erstes Keilbein und Stirnbeine). 3 Zungenwirbel (zweites Keilbein und Scheitelbeine), 4. Ohrwirbel (Hinterhauptbeine). Daran schliesst sich die übrige Wirbelsäule als 5. oder Hautwirbel an.

Bekanntlich ist eine ähnliche Wirbeltheorie des Schädels — sie wurde anfangs mit Hohn aufgenommen — auch von Goethe aufgestellt worden, der sich auch sehr für die Beinphilosophie 'interessierte. Nur fehlen bei Goethe die wunderlichen Zuthaten. Leider knüpft sich an die Theorie ein unerquicklicher Prioritätsstreit. Uebereifrige Bewunderer Goethes — der sich Oken gegenüber nicht wohlwollend benommen hat — haben sogar Oken des Plagiats beschuldigt. Es ist nun durchaus sicher, dass beide völlig selbständig und unabhängig von einander zu ihrer Theorie gekommen sind. Goethe früher als Oken, doch hat sie Oken früher veröffentlicht.

Die Wirbeltheorie hat ungemein anregend auf spätere Untersuchungen gewirkt und muss Oken und Goethe zum Verdienste angerechnet werden, wenn sie auch heute nicht mehr haltbar ist.

Man hat Oken zu den Vorläufern Darwins gerechnet. Ganz mit Unrecht. Er betont zwar überall die ununterbrochene Stufenfolge in der Natur; aber er hält die Arten für konstant. Man kann, so sagt er, sagen, der Mensch sei nur ein höher ausgebildeter Affe und dennoch wird niemand es so nehmen, als wenn er vorher ein ausgewachsener Affe gewesen wäre und sich dann erst durch günstige Umstände in einen Menschen verwandelt hätte. Was einmal zu einer besonderen Pflanzen- und Tiergattung sich verbunden hat, ändert sich nicht mehr in eine andere um, sofern sich die Stoffe nicht wieder auflösen und nach anderen Verwandtschaften und Richtungen sich verbinden.

Oken betrachtet das ganze Tierreich als den auseinandergelegten tierischen Leib, dessen Organe bald mehr, bald weniger vollständig ein eigenes Leben führen und für sich herumschwimmen oder herumkriechen, herumlaufen, herumfliegen u. s. w., so dass das eine Tier z. B. nichts anderes wäre als ein Darm, wie die Polypen, ein anderes noch die Leber hinzubrächte, wie die Muscheln, ein anderes noch die Speicheldrüsen, wie die Schnecken, ein anderes gegliederte Füsse, wie die Krebse, ein anderes Knochen wie die Fische u. s. w: Auf der höchsten Stufe der Vervollkommnung und Kompliziertheit steht der Mensch, und das Tierreich ist für Oken deshalb der auseinandergelegte Mensch.

Bei der Entstehung des Menschen mussten die Bedingungen, unter denen sich überhaupt Organismen bilden, in der vollkommensten Weise vorhanden sein; fehlten wichtige Elemente, so entstanden tiefer stehende Tiere oder sogar nur Pflanzen. Die Bildung eines jeglichen Organismus ist deshalb nach Oken gewissermassen die beginnende Bildung des Menschen, die je nach den Verhältnissen weiter oder weniger weit gedieh. Die niederste Stufe der Tiere sind freie Bläschen, die Infusorien. Wenn sich solche unter günstigen Bedingungen vereinigen, so entstehen schon höhere Tiere.

Es ist Oken denn auch vielfach als Begründer der Zellenlehre genannt worden, welche die Grundlage' der gesamten modernen Biologie ist. 1843 nimmt er ausdrücklich die Urheberschaft dieser Lehre für sIch in Anspruch. "Meine Lehre, dass

alle organischen Wesen aus Bläschen oder Zellen entstehen und bestehen, habe ich zuerst aufgestellt in meinem Buch von der Zeugung 1805. "Diese Lehre," sagt er, "ist nun allgemein anerkannt, und ich brauche daher zu ihrer Verteidigung nichts beizufügen." Eine genaue Prüfung der Oken'schen Schriften ergiebt allerdings, dass in ihnen die Rudimente der Zellentheorie vielfach angetroffen werden, bald deutlicher, bald verschwommener. Es lässt sich nicht bestreiten, dass Oken die Idee der Individualität der Zellen, Bläschen oder Infusorien, aus denen sich die Organismen zusammensetzen, ausgesprochen und dass er behauptet hat, die Tiere und Pflanzen seien nur Aggregate, gewissermassen Kolonien solcher Zellen. Dies ist in der That der Grundgedanke der Zellenlehre.. Freilich beruht das Hauptargument seiner Bläschentheorie auf einem grossen Irrtum. Pflanzen und Tiere zerfallen nach ihm bei der Fäulnis im Wasser in Infusorien, in Bläschen. Wenn nun alles Organische in Infusorien zerfällt, so lässt sich der Satz umkehren und es müssen alle höheren Tiere aus diesen, als ihren Bestandteilen bestehen.

Nun weiss man schon lang, dass die faulenden Tiere in Wirklichkeit nicht in Infusorien zerfallen. Die Infusorien, die in ungeheurer Zahl an verwesenden Tierleichen auftreten, entstehen nicht aus diesen, sondern entwickeln sich aus Infusorien, die im eingekapselten Zustande lebensfähig als Bestandteile des Staubes verweht werden und nun in die denkbar günstigsten Existenz- und Ernährungsverhältnisse gelangen. Es sind nämlich diese Infusorien Bakterienfresser und zwar solche, die sich fast ausschliesslich von Mikroben ernähren. Ihnen fallen Myriaden von Fäulnisbakterien zum Opfer.

Im ganzen kann man sagen, dass Okens Naturphilosophie wohl mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet hat. Sie dürfte wohl mit die Ursache gewesen sein, dass in der Biologie für längere Zeit eine trockene, fast rein deskriptive Richtung zur Herrschaft kam, die sich ängstlich hütete, grössere allgemeinere Gesichtspunkte aufzusuchen, die selbst vor einem vernünftigen, kritischen Philosophieren zurückschreckte. Das beste, was man von Okens Naturphilosophie sagen kann, ist, dass sie entschieden Keime der

vergleichenden und embryologischen Methode enthielt, die seitdem in der Hand kritischer Forscher, sorgfältiger Beobachter und scharfer Denker so schöne Triumphe gefeiert hat.

Ueber Oken als Naturforscher lässt sich nicht viel sagen. Er hat nur sehr wenige eigene Untersuchungen angestellt, und nur in jungen Jahren, fast ausschliesslich während der Göttinger Zeit. Von grösserer Bedeutung ist nur die Untersuchung über die Embryonalhüllen der Säugetiere. Die Beobachtungen sind grösstenteils richtig und wichtig und wurden von Carl Ernst von Bär hochgeschätzt, ihre Deutung vielfach falsch, willkürlich und phantastisch. Immerhin gehört ihm das Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass das Nabelbläschen der Säugetiere dem Dottersacke der Vögel entspricht. Später hat der Naturphilosoph den Naturforscher vollständig zurückgedrängt.

Die grossen Verdienste, die sich Oken erworben hat und die nicht hoch genug zu schätzen sind, liegen auf andern Gebieten.

Er war bis in ein hohes Alter hinein ein enthusiastischer Lehrer, der seine Schüler zu begeistern wusste. Der verdienstvolle Anatome Huschke sagte von ihm: "So bizarr oft sein Styl, so gewandt und fliessend war sein lebendiger Vortrag, so dass der Schüler gern auf die Worte des gefeierten Meisters schwören mochte. Alle Breite vermeidend, war er stets anregend, indem er nicht nur zu merken, sondern auch zu denken gab." Er nahm es sehr ernst mit seinem Beruf. Dem jugendlichen Ecker, der später ein hochangesehener Anatom wurde, erteilte er die Lehre: "Aber das sage ich Dir, und wenn Du schon 30 Jahre Professor bist, dass Du mir nie unvorbereitet in eine Vorlesung gehst." Ich habe selbst noch manche Zöglinge unserer Zürcher Hochschule aus Okens Zeit, wenigstens der früheren, in beredter Weise von seiner Lehrthätigkeit sprechen hören, von der Begeisterung für die Naturwissenschaften, die er bei allen zu erwecken wusste.

Ein unschätzbares Verdienst erwarb sich Oken ferner durch die Herausgabe der "Isis", einer encyclopädischen Zeitschrift, die zuerst 1816 in Jena erschien. Der Schwierigkeiten, mit denen die Isis — hauptsächlich wegen ihres politischen Inhaltes — anfangs zu kämpfen hatte, habe ich schon Erwähnung gethan. Das Programm war ein sehr weitherziges: "In diesem Hafen kann landen und lösen, wer nur immer mag und wer etwas hat. Weder

bezahlt jemand etwas, noch erhält jemand etwas. Alles ist frei." "Nur Theologie und Jurisprudenz werden kaum eine Stelle finden, weil sie sich zu sehr vom Menschlichen zurückgezogen haben. Von eleganten Unterhaltungen, Theaterstreichen, von Ueberschwemmungen, Feuersbrünsten, Beinbrüchen, Diebstählen und dergleichen merkwürdigen Dingen, wird bei uns nicht gesprochen." Oken hat in bewunderungswürdiger Weise alles gethan, um sein Programm durchzuführen, und wie sehr er dabei in der uneigennützigsten Weise zu Werke ging, zeigt die Thatsache, dass er in der "Isis" Preisfragen stellte, deren Kosten er aus dem Ertrage der Zeitschrift selbst bestritt. Die "Isis" war in der That. Jahre lang ein Centralorgan für viele Zweige der Naturwissenschaften und der Medizin, wie es seither keine Zeitschrift mehr gewesen ist. Als solches übte sie einen grossen Einfluss auf die Entwicklung der Naturwissenschaften, hauptsächlich auch dadurch, dass entlegenere Untersuchungen zugänglich gemacht wurden, sei es durch ausführliche Referate sei es durch Wiederabdruck, dass ein grosser Teil der zerstreuten deutschen Forschungen sich in ihr ansammelte und von der keimenden und wachsenden deutschen Wissenschaft das beredteste, unmittelbarste, wirksamste Zeugnis ablegte. Was das sagen will, das mag man daraus ersehen, dass selbst ein so ausgezeichneter Forscher wie Treviranus für sein berühmtes, von der Pariser Akademie 1812 preisgekröntes Werk über die Röhrenholothurie etc, in ganz Deutschland keinen Verleger fand und es schliesslich auf Subskription herausgeben musste.

Die "Isis" hörte erst 1848, drei Jahre vor Okens Tode, zu erscheinen auf, nachdem sie schon seit dem Jahre 1823 keine politischen Aufsätze mehr gebracht hatte.

Der grossen Bedeutung der "Isis" für die Kreise der Gelehrten und Forscher entsprach die Bedeutung von Okens damals allbekannten Lehrbüchern der Naturgeschichte. Namentlich die in Zürich entstandene grosse allgemeine Naturgeschichte für alle Stände, in 13 Bänden mit Atlas, fand in den weitesten Kreisen, der Gebildeten Zugang und verbreitete naturwissenschaftliche Kenntnisse und damit auch Lust und Freude an den Naturwissenschaften in breiten Schichten. Man muss nur staunen über das ungeheure Wissen, das die Herausgabe solcher umfassender Werke zur Voraussetzung hatte. Es ist ihm in dieser Beziehung

kaum mehr ein Gelehrter gleich gekommen. Heutzutage freilich wäre es ganz undenkbar, dass ein einziger Gelehrter, auch wenn er sich gar nicht auf eigene Erfahrung stützen würde, — wie das doch bei Oken der Fall war — jenes grosse Wissensgebiet auch nur annähernd so ausführlich behandelte. — Oken hat es vollständig und gleichmässig beherrscht.

Aber hätte auch Oken gar nicht die erwähnten grossen Verdienste, die ihm unstreitig gebühren, eine einzige That konnte es vollauf rechtfertigen, dass ihm Denkmäler gesetzt wurden: die Gründung der grossen Vereinigung deutscher Naturforscher und Aerzte und die Einführung ihrer jährlichen Wanderversammlungen. Schon seit Jahren hatte Oken und mit ihm auch einige andere Forscher mit Neid auf die seit 1815 bestehenden Jahresversammlungen unserer Schweiz. Naturforschenden Gesellschaft geblickt, über die er regelmässig referierte. Energisch forderte er in der "Isis" und anderswo die Deutschen im Norden und im Süden auf, das schöne Beispiel der Schweizer nachzuahmen. Von vielen Seiten wurden Bedenken geäussert. Darauf schrieb Oken in der "Isis" ärgerlich, als Antwort auf eine solche Zuschrift: "In diesem Aufsatze siehst Du geschildert den Deutschen vorn und den Deutschen hinten, den Deutschen oben und den Deutschen unten. Bedenklichkeiten macht der Beutel, Bedenklichkeiten die Reise, Bedenklichkeiten die Gesichter, Bedenklichkeiten die Quartiere, Bedenklichkeiten das Wissen, Bedenklichkeiten der Saal, Bedenklichkeiten der Nutzen, endlich Bedenklichkeiten gar die Regierungen! Zuletzt werden zum Troste Partitivversammlungen vorgeschlagen! Will der Deutsche sich zur Barbarei verdammen, nun, so sei er Barbar und bleib er Barbar in alle Ewigkeit! Der Freund der Wissenschaft muss sich dann an kultivierte Völker halten, welche ihre Privatrücksichten und Originaleitelkeiten aufzuopfern wissen, um vereint die Wissenschaften vorwärts zu bringen."

"Es bleibt demnach dabey, sobald sich etwa zwei Dutzend gemeldet haben, werden sie in der "Isis" abgedruckt."

Und es blieb dabei!

Im Jahre 1823 fand die erste Versammlung in Leipzig statt, nachdem vorher noch das Malheur passiert war, dass ein Jahr vorher mehrere Forscher aus verschiedenen Teilen Deutschlands infolge eines Missverständnisses vergeblich nach Leipzig gereist

waren. Die Organisation wurde nach dem Muster der Schweizerischen eingerichtet, die ja auf die Versammlungen fast aller civilisierten Länder übergegangen ist. (Oken hatte sie bei Gelegenheit einer Versammlung schweizerischer Naturforscher in Bern mit eigenen Augen geprüft.) Es waren damals in Leipzig etwa zwei Dutzend anwesend. Sie hätten gewiss nie sich träumen lassen, dass die Versammlungen einen so riesigen Aufschwung nehmen würden, dass jährlich Tausende nicht nur aus allen Gauen Deutschlands, sondern auch aus dem Auslande, besonders Oesterreich und der Schweiz, zusammenströmen würden. Doch ist die Bedeutung der Wanderversammlungen jetzt wohl nicht mehr ganz so gross wie früher.

Das Reisen ist jetzt leicht, bequem und billig, das Gefühl der Zusammengehörigkeit bei allen deutschen Forschern entwickelt, die wissenschaftlichen Errungenschaften werden rasch und leicht der ganzen Welt zugänglich gemacht. Aber früher war das alles anders. Wie wertvoll war es, dass die deutschen Gelehrten persönlich mit einander bekannt wurden! Sie regten sich gegenseitig an. Diese direkte Bekanntschaft und Anregung stärkte den Patriotismus in der Wissenschaft und dadurch in nicht geringem Masse den deutschen Patriotismus überhaupt. Der Anteil der Versammlungen deutscher Naturforscher und Aerzte an der mächtigen Entwicklung nicht nur der deutschen Wissenschaft, sondern auch des deutschen Einheitsgedankens muss sehr hoch angeschlagen werden.

Hochgeehrte Anwesende!

Wir haben heute die Reste Okens aus dem Friedhofe St. Jakob (der jetzt geräumt wird), wo sie von der hohen Promenade aus beim Tode seiner Tochter in deren Grab bestattet worden waren, in den Centralfriedhof übergeführt, wo sie nun hoffentlich zu dauernder Ruhe kommen. Wir danken es den Behörden, dass sie diesen Akt schuldiger Pietät ermöglichten. Die Universität und die philosophische Fakultät haben das Andenken des ersten Rektors, des hochverdienten Lehrers und Gelehrten, des unerschrockenen Kämpfers für alles, was er für gut und wahr hielt, geehrt, indem sie Kränze auf sein neues Grab niederlegten.